Karlheinz Six

Das endgültige Aus

Bild: Der große Frust - Das endgültige Aus

Um fünf Uhr stehe ich von der Bank vor dem Bahnhof von Valtopina auf. Es ist Samstag. Gerade einmal drei Stunden Schlaf habe ich hinter mir. Gestern war wohl der frustrierende Abend meiner ganzen Unternehmung. Mir reicht’s jetzt endgültig. Ich breche ab. Es interessiert mich nicht mehr.

Gestern habe ich mehrere Varianten überlegt, wie ich weiter vorgehe. In einer Woche sollte meine Frau nach Assisi kommen. Soll ich nach Hause fahren und wir machen dann etwas anderes? Oder soll ich eine Woche in Italien warten? Wie soll ich mir das leisten können? Ein Woche Übernachtung?

Aber ich kam zu einer Lösung. Und von dieser will ich jetzt erzählen.

Als erstes ging ich zu einer anderen Bar, quasi eine Frühbar, in man lt. Google Maps ein ausgezeichnetes Frühstück bekommen soll. Naja, es war gut, aber nichts Außergewöhnliches, sondern das typisch italienische Frühstück.

Danach ging ich zur Bushaltestelle. Dort wartete ich bis kurz vor halb acht auf den Bus nach Foligno. In Foligno hat Franziskus seinerzeit Stoffballen, die er aus dem Geschäft seines Vaters entwendet hat, und sein Pferd verkauft. Das Geld wollte er dem Priester von San Damiano geben, damit er die Kapelle renovieren kann und beim Kreuz immer ein Licht brennt. Dieser nahm es aber nicht an, sodass es Franziskus einfach durch ein Fenster der Kapelle warf. Dem Vater reichte es nun entgültig. Er schnappe sich sein Söhnchen und warf ihn in einen Kerker, der heute noch in der Chiesa Nuova angesehen werden kann. Vom Verkauf des Pferdes erzählt heute eine Gedenktafel in Foligno.

Aber das nur als Zwischenbemerkung. In Foligno musste ich zwei weitere Stunden warten. Ich habe mir also ein Ladekabel gekauft, bin einen Kaffee trinken gegangen und habe ein bisschen durch die Gegend geschaut.

Nach Foligno wurde auch die leibliche Schwester von Klara von Assisi geschickt, Agnes von Foligno. Sie sollte dort eine Frauengemeinschaft darin unterstützen, die Lebensweise der Klara anzunehmen.

Eine andere wichtige Frauengestalt ist Angela von Foligno, die im 13. Jahrhundert lebte. Sie hörte eine Predigt eines Franziskaners und änderte daraufhin ihr Leben. Ihrem Mann berichtete sie von ihrem Gelübde der Enthaltsamkeit. Kurze Zeit darauf starben ihre Mutter, ihr Mann und ihre drei Kinder. Daraufhin verkaufte sie ihren Besitz und gab das Geld den Armen. Sie trat in den Dritten Orden der Franziskaner ein, sammelte zur religiösen Vertiefung viele Menschen um sich und wurde als Mystikerin bekannt. Ihren Leichnam kann man heute in der Kirche San Francesco in Foligno ansehen.

Aber das nur als Zwischenbemerkung.

Nach zwei Stunden fuhr ich mit dem Bus nach Matigge. Dort gibt es einen Decathlon. Innerhalb von zehn Minuten kaufte ich ein Zelt, Ersatzheringe und einen Hammer.

So, und jetzt sollte ich wieder zwei Stunden auf den Bus zurück nach Foligno warten. Ich entschloss mich, die acht Kilometer zu Fuß zurückzugehen.

Der Rest ist kurz erzählt. Von Foligno ging’s mit dem Zug nach Assisi, vom Bahnhof mit dem Bus zum Piazza Giovanni Paolo II. Für eine Nacht habe ich mir noch ein günstiges Zimmer im Hotel San Pietro gegönnt, um mich körperlich wieder auf Vordermann zur bringen. Am nächsten Tag ging es dann zum Campingplatz Fontemaggio.

Das war zwar nicht das Ende meines Italienaufenthaltes. Es war aber das Ende meines Vorhabens. Es ist alles andere als so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt hatte. Aber es war, wie es war.

Als ich diese Geschichte einmal in einer Runde erzählt habe, hatten man gemeint, dass sich das gar nicht so schlimm anhört. Eher lustig. Ja, das wird wohl an meinem Erzählstil hängen. Tatsächlich war es niederschmetternd.

Wie ich nämlich schon einmal gesagt habe: Man nimmt sein Leben immer mit. Und hier geht es nicht nur um den Weg und das, was da passiert ist, sondern in welche Lebenssituation der Weg eingebettet ist.

Um ein wenig Einblick zu geben, zitiere ich aus meinem Reisetagebuch:

„Das Leben fordert von mir momentan einiges ab. Und ich weiß gar nicht, was genau. Was macht mein Gefängnis eigentlich aus? Was sind die Gitter, was die Wände? Wer sind die Wächter? Und wer wäre die Tür der Zelle und des Gefängnisses?

Ich weiß nicht, wie ich ausbrechen könnte. Ich kann mich in meiner Zelle nur einrichten. Mehr geht nicht.

Vielleicht wird der Recht meines Lebens ein Leben in dieser von mir eingerichteten Gefängniszelle sein. Dann soll es so sein.

Ich möchte lernen, das Leben so anzunehmen, wie es mir entgegenkommt. Und im Rahmen meiner Möglichkeiten zu handeln. Diese Reise – wie auch schon Ghana – hat mich in die Schranken gewiesen. Deutlich.
„Dir stehen nicht mehr alle Türen offen.“ Das ist die Botschaft.

ein, noch dramatischer: „Dir bleiben nur noch wenige, ganz wenige Türen offen.“ Nein, noch verschärfter: „Es gibt nur noch eine Tür. Und die ist verschlossen.“

Ich könnte gegen diese Grenzen ankämpfen. Aber die letzten Monaten haben deutlich gezeigt, dass das Leben stärker ist.“

Mit diesem Beitrag möchte ich meinen Bericht aber nicht abschließen. In einem letzten Kapitel möchte ich noch auf die drei Heiligen eingehen, die in Assisi ein besondere Bedeutung haben. Das mag sich für viele langweilig anhören. Das gebe ich zu. Jedoch wird es dabei um einen Heiligen gehen, der Verehrung für mich absolut abstoßend ist, um einen Heiligen, der uns auch heute noch viel zu sagen hat, und um eine Heilige, die ich erst bei dieser Reise als ganz besondere Frau kennengelernt habe. Ich bin überzeugt, dass es auch viele von euch interessieren wird.

Das nächste Mal schlagen wir das letzte Kapitel auf. Es wird um die drei Heiligen von Assisi gehen. Zuerst um Carlo Acutis, dem jüngsten und zugleich völlig überbewerteten Heiligen.


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