Während im Lukas-Evangelium Jesus die Armen selig preist, heißt er bei Matthäus die „Armen im Geist“ selig. Diese Episode möchte anregen, über die Bedeutung dieser Formulierung und über Armut im Christentum nachzudenken. Zitiert werden verschiedene Bibelübersetzungen. Und am Schluss wird die Interpretation des Mystiker Meister Eckehart vorgestellt. Und ich erzähle, wen Eckehart für einen Esel hält.
Transkript
Herzlich Willkommen zur achten Folge meines Podcasts aus&aufbrechen: „Selig die Armen im Geist – denn ihnen gehört das Himmelreich.“ So lautet die erste Seligpreisung in der Bergpredigt Jesu im Evangelium nach Matthäus. In dieser Episode möchte ich darstellen, welche Gedanken Meister Eckehart zu diesem Satz, speziell zu den Armen im Geist hat. Und ich erzähle, wen er für einen Esel hält.
Bevor es losgeht, möchte ich darauf hinweisen, dass ich sehr gern mit dir in den Austausch gehe. In den Shownotes habe ich alle Kontaktmöglichkeiten angeführt. Ich freue mich sehr, wenn du diesem Podcast, mir auf Instragram oder meiner Facebook-Seite folgst oder meinen YouTube-Kanal abonnierst. Gern kannst du dich auf meiner Homepage auch für meinen Newsletter eintragen lassen. –
Wie steht’s also nun mit den Armen im Geiste.
Wenn man im Deutschen mehrere Bibelübersetzungen ansieht, dann merkt man, wie schwer sich die Übersetzer*innen tun, den Sinngehalt zu bewahren. Hier geht es ja wohl nicht um geistig beeinträchtigte Menschen. Was soll also mit „Geist“ gemeint sein. Im Deutschen haben wir das Problem, dass das Wort „Geist“ für ganz Verschiedenes stehen kann: für ein Gespenst, für die Denkfähigkeit des Menschen oder auch für den Heiligen Geist. Im Englischen haben wir dafür mehrere Worte: ghost, mind und spirit. Oder im Lateinischen: umbra, mens und spiritus.
Aber wie ist es im Altgriechischen, der eigentlichen Sprache des Neuen Testamentes? Matthäus verwendet für Geist das Pneuma. Das kann im Deutschen aber wiederum sowohl Gespenst, als auch Seele oder Denkfähigkeit oder den heiligen Geist meinen.
Vergleichen wir daher einmal verschiedenen Bibelübersetzungen dazu: Das Zitat, das ich an den Beginn dieser Episode gestellt habe, stammt aus der Zürcher Bibel. Ich habe es deshalb genommen, weil es so ähnlich klingt, wie es auch Meister Eckehart seinerzeit ins Deutsche übersetzt hat. Um seine Interpretation soll es ja später gehen.
Die katholische Einheitsübersetzung übersetzt diese Zeile etwas freier und sagt:
„Selig, die arm sind vor Gott; / denn ihnen gehört das Himmelreich.“
Sie interpretiert also die Armut im Geiste als Armut vor Gott; Pneuma als Geist Gottes, wie es im Neuen Testament ja auch verwendet wird. Diese Formulierung kann sowohl meinen, in den Augen Gottes ist der Mensch arm wie auch in den Augen des Menschen ist er selbst vor Gottes Angesicht arm.
Auch die evangelische Lutherübersetzung übersetzt freier und sagt:
„Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.“
Sie spricht von einer spirituellen Armut. Wobei hier eher undeutlich ist, was darunter zu verstehen ist. Aber diese Undeutlichkeit ergibt sich schon aus dem griechischen Urtext.
Übrigens kommt diese Seligpreisung auch beim Evangelisten Lukas vor. Dort fehlt der Zusatz „im Geist“ allerdings. Der Grund: Lukas hat die materiell Armen im Blick. Matthäus hat dieses Armsein – sozusagen – „vergeistigt“.
Und diese Unterscheidung führt uns zu Meister Eckehart. Auch er unterscheidet zwischen der äußeren, der materiellen Armut und der inneren, spirituellen Armut. Das Zitat aus dem Matthäusevangelium aufgreifend, möchte er die innere Armut näher ausleuchten.
Bevor ich aber dazu komme, noch ein paar Vorbemerkungen:
Es ist mir wichtig zu betonen, dass ich im Folgenden lediglich die Ansicht Eckeharts referiere, ohne selbst dazu Stellung zu nehmen. Es handelt sich um einen Gedankenanstoß, mehr nicht.
Wer war dieser Meister Eckehart eigentlich? Er war ein Mönch des Dominikanerordens und lebte von 1260 bis 1328 in Thüringen, also im Spätmittelalter. Mit seiner spirituellen Lehre – man zählt ihn zu den theoretischen Mystikern – hatte er großen Einfluss auf die Menschen. Er schrieb und predigte in Deutsch, sodass ihn auch das gewöhnliche Volk verstehen konnte. Gegen Ende seines Lebens wurde ein Prozess wegen Häresie angestrengt. Jedoch verstarb er noch vor dem Ende des Prozesses. Da er aber von vornherein sagte, sich dem Urteil des Papstes zu unterstellen, wird er nicht zu den Häretikern gezählt. Der damalige Papst Johannes XXII. hat dennoch in der Bulle „In agro Dominico“ einzelne Sätze verurteilt und die Verbreitung seiner Schriften, die diese Sätze enthalten, untersagt. Dennoch hat seine Lehre bis heute eine große Anhängerschaft.
Ein Zentralgedanke seiner Mystik ist die Einung, das Einswerden mit Gott. Dazu soll jede Zweiheit, jede Vielheit ausgelöscht werden. Diese Vorstellung schwebt im Hintergrund, wenn er nun die Armut im Geiste interpretiert.
In der folgenden Darstellung beziehe ich mich auf seine 32. Predigt und damit komme ich zurück zu unserem Ausgangthema. Die Literaturangabe findet ihr in den Shownotes.
Meister Eckehart entfaltet in dieser Predigt die innere, spirituelle Armut in dreifacher Weise:
„Das ist ein armer Mensch“, so sagt er, „der nichts will und nichts weiß und nichts hat.“
Erstens also: Ein armer Mensch will nichts.
Es gibt sehr viele Menschen, die vieles oder alles für sich wollen. Von denen spricht Eckehart gar nicht. Es gibt dann Christen, die durch zahlreiche Übungen, den eigenen Willen aufgeben und ganz dem Willen Gottes folgen lassen. Diese Christen bezeichnet Eckehart als Esel. Ein Mensch, der noch so viel Wille in sich hat, dass er dem Willen Gottes folgen kann, der ist noch nicht arm. Der wirklich arme Mensch will auch den Willen Gottes nicht. Der arme Mensch will genausowenig als er zu dem Zeitpunkt wollte, da er noch nicht war. Eckehart predigt hier also die völlige Preisgabe des eigenen Willens, der nicht einmal mehr den Willen Gottes will.
Zweitens: Ein armer Mensch weiß nichts.
Der Mensch gilt also als arm, der jeden Wissens „ledig“ ist, wie der Meister es ausdrückt. Er weiß weder von sich, noch von der Welt, noch dass Gott in ihm wirkt. Als der Mensch noch nicht war, so wusste er nichts, sondern stand im ewigen Wesen Gottes. Man kann das leichter verstehen, wenn man wieder an die Einswerdung mit Gott denkt. Wer von Gott weiß, der stellt sich selbst Gott gegenüber und es entsteht eine Zweiheit. Um aber Einheit zu schaffen, muss der Mensch seines Wissens ledig werden und einfach Gott wirken lassen – wie damals, als der Mensch noch nicht war, sondern im ewigen Wesen Gottes stand. Wer arm vor Gott ist, muss also sein ganzen Wissen preisgeben.
Drittens: Ein armer Mensch hat nichts.
Mit diesem Nichts-haben ist jedoch nicht die äußere, materielle Armut gemeint. Hier geht es um jene Stätte, die der Mensch hat, damit darin Gott wirken kann. Hat der Mensch nämlich seinen Willen und sein Wissen preisgegeben, dann könnte man sagen, hat er eine leere Stätte in sich, in der Gott wirken kann. Wer aber diese Stätte hat, ist kein armer Mensch. Er muss auch diese Stätte noch aufgeben, ja er muss sich Gottes ledig machen – wie Eckehart sagt. Denn dieses Haben der Stätte ist immer noch eine Zweiheit: meine Stätte und das Wirken Gottes. Der wirklich Arme gibt auch diese Stätte noch auf, damit Gott selbst diese Stätte wird, worin er wirken kann.
Eckehart sagt daher:
„Der Mensch erleidet Gott so in sich.“
Gemeint ist, dass der Mensch nichts aktiv tun kann, sondern sich lediglich frei machen muss von allem Willen und allem Wissen und allem Haben. So wird der Mensch mit Gott vereint, wie er war, bevor er war. In diesem Sinne spricht Eckehart weiter – und mit diesen Worten möchte ich die heutige Episode schließen.
„Allhier, in dieser Armut erlangt der Mensch das ewige Sein (wieder), das er gewesen ist und das er jetzt ist und das er ewiglich bleiben wird.“