Karlheinz Six

Kinder kriegen

Bild: Kinder kriegen

Was, meinst du, ist wichtiger: Kinder kriegen oder sein Leben ohne Einschränkungen führen können. Warum soll man heute noch Kinder kriegen? Vor allem bei all den Krisen rund herum?

Diese Episode spricht vom Kinderkriegen und geht vermutlich anders aus, als du es erwartest.

 

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Transkript

Herzlich Willkommen zur 50. Episode. Es ist also ein Jubiläumsfolge. Mich wundert ja selbst, dass ich schon so viele Folgen aufgenommen habe.

Das gibt mir Gelegenheit mich bei allen zu bedanken, die die Folgen gern und regelmäßig anhören, die sie mit ihren Freunden und in Sozialen Netzwerken teilen und kommentieren und die mir über ko-fi eine kleine finanzielle Anerkennung zukommen haben lassen.

Heute möchte ich mich einem Thema widmen, über das ich in den letzten Monaten viel nachgedacht habe. Zufälligerweise habe ich mit zwei Freundinnen, die noch dazu beide ungefähr im selben Alter sind, so um die 30, unabhängig voneinander darüber gesprochen. Nämlich über das Kinder kriegen.

Die Frage ist: Warum soll man heute überhaupt noch Kinder in die Welt setzen?

Viele junge Frauen treibt diese Frage um, vor allem wenn sie merken, dass sie noch nicht den Partner dafür gefunden haben und sie schön langsam in ein Alter kommen, wo die Zeit zu drängen scheint.

Dass es hauptsächlich Frauen sind, ist eher meine Wahrnehmung … oder spiegelt sich da eine gesellschaftliche Situation wieder? Denn ich kenne keine Männer um die 30, die sich diese Frage stellen.

Aber vielleicht ist das nur meine subjektive Wahrnehmung. Oder ist Kinderkriegen doch noch immer Frauensache? Oder geht es um die tickende biologische Uhr – wie man so schön sagt.

Ich habe mir jedenfalls ein paar Gedanken darüber gemacht. Und wenn du jetzt glaubst, dass ich dich überzeugen will, Kinder zu bekommen, dann wirst du wahrscheinlich überrascht sein. Denn das werde ich ganz sicher nicht.

Übrigens mache ich zwei Folgen zum Thema Kinder: In dieser geht es um das Kinder kriegen, in der nächsten um die Stellung der Kinder in der heutigen Gesellschaft.

Diese Gedanken, die ich mit euch teile, sind keine Antworten auf all diese Fragen. Sie sollen euch lediglich einen Anstoß zum Weiterdenken liefern. Selberdenken ist das Ziel meines Podcasts, nicht Vorgeben von klaren Antworten. So sind auch diese beiden Folgen zu verstehen.

Es geht mir also um die Frage: Warum sollen wir Kinder in die Welt setzen?

Schauen wir uns zunächst die Frage selbst an. Sie fragt nach einem oder mehreren Gründe, die dafür sprechen, Kinder in die Welt zu setzen.

Dagegen gibt es heute eine nicht geringe Anzahl an Frauen, die Gründe anführen, warum sie selbst keine Kinder bekommen wollen. Manche vielleicht noch schärfer: Warum man überhaupt keine Kinder mehr bekommen soll.

Das allein zeigt schon, dass das Kinderkriegen nicht mehr selbstverständlich ist. Es wird hinterfragt. Und wenn etwas hinterfragt wird, dann sucht man Gründe. Die Gründe sollen dann eine Handlungsanleitung liefern oder eine Handlung sich selbst und anderen gegenüber rechtfertigen.

Mit den Gründen formulieren wir eine so genannte Kausalität: Aus den Gründen folgt eine bestimmte Handlung, ja, soll eine Handlung notwendigerweise folgen.

Ich komme später nochmals darauf zurück. Jetzt möchte ich mich den Gründen widmen, die gegen das Kinderkriegen sprechen.

Mir sind vor allem zwei Argumentationsgruppen bekannt. Vielleicht gibt es noch mehr, aber ich beschränke mich einmal auf diese beiden:

1. Die erste Gruppe von Argumenten erwächst aus der persönlichen Situation. Diese kann ganz unterschiedlich gelagert sein.

Manche – und ich spreche hier ausdrücklich von Frauen und Männern – wollen sich durch ein Kind im Leben nicht einschränken lassen. Ihre Lebensführung und das, was im Leben noch kommen soll, lässt sich scheinbar nicht mit Kindern vereinbaren. Und da das eigene Leben und die Selbstverwirklichung mehr zählt, als neues Leben in die Welt zu setzen, bekommen sie dann auch keine Kinder.

Es gibt aber auch Frauen und Männer, die sich nicht fähig sehen, ein Kind zu erziehen. Vielleicht tun sie sich selbst einfach schwer im Leben und können sich nicht vorstellen, noch für ein Kind zu sorgen. Vielleicht haben sie selbst eine schreckliche Kindheit durchlebt, die sie für eigene Kinder unfähig machen. Oder weil sie deshalb einem eigenen Kind diese Schrecklichkeit ersparen wollen.

2. Die zweite Gruppe von Argumenten, die gegen Kinder sprechen, sind mehr gesellschaftlicher Natur.

Für manche Frauen ist es ein feministischer Akt, keine Kinder zu bekommen. Sie wollen nicht, dass sie selbst auf eine Mutter- und vielleicht sogar Hausfrauenrolle reduziert werden. Sie wollen vielleicht überhaupt nicht, dass Frauen ganz generell auf das Muttersein reduziert werden. Vielleicht wollen Frauen lieber im Beruf weiterkommen, was sich scheinbar nicht mit Familie und Kinder vereinbaren lässt. Frauen sollten vielmehr wahrgenommen werden als Menschen, die ebensoviele Aufgaben und Tätigkeiten ausüben können wie Männer.

Abseits dieser feministischen Gründe führen manche Frauen und Männer an, dass es für Kinder eine Zumutung wäre, in eine Welt gesetzt zu werden, die gekennzeichnet ist von multiplen Krisen. Vor allem der Klimawandel macht heute vielen zu schaffen. Und da sie nicht daran glauben, dass die Menschheit das noch hinbekommt und daher die Lebensbedingungen auf der Erde immer schlechter werden, will man das den Kindern nicht antun.

Manche gehen dabei noch einen Schritt weiter und sagen, dass die Kinder selbst ein Problem für das Klima sind. Jedes Kind bringe eine höhere CO2-Belastung. Daher ist es ethisch geboten, keine Kinder mehr in die Welt zu setzen.

In kirchlichen und christlichen Kreisen ist es üblich, nun Argumente gegen diese Gründe anzuführen und für das Kinderkriegen zu plädieren. Das werde ich ganz sicher nicht tun. Zunächst einmal sind alle Gründe als gute Gründe zu betrachten und wir sollten den klassischen Beißreflex traditioneller Provenienz vermeiden.

Interessanterweise wird gerade im politischen Zusammenhang oft gar nicht daran gedacht, dass Frauen und Männer Gründe haben, keine Kinder zu bekommen. Hier schiebt man die niedrigen Geburtenraten in Europa auf die schlechten Rahmenbedingungen, die den Eltern in Bezug auf Kinderbetreuung und finanzieller Unterstützung geboten werden.

Implizit scheint man vielfach davon auszugehen, dass wenn die Rahmenbedingungen passen, Kinder ganz wie von selbst geboren werden. Als sei es eine natürliche Notwendigkeit, Kinder zu bekommen.

Eine Studie aus dem Jahr 2022 widerlegt die These mit den mangelhaften Rahmenbedingungen allerdings: Es sind nicht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern die individuellen Lebensentscheidungen, in denen Selbstverwirklichung, Freizeit und Ausbrechen aus gesellschaftlichen Konventionen im Vordergrund stehen.

Typischerweise wurden bei dieser Studie nur Frauen befragt. Interessant wäre da noch die Perspektive der Männer. Wie auch immer: Einen Link zur Studie dazu und noch weitere Infos findet ihr in den Shownotes.

Die Politiker:innen tun sich mit einem solchen Ergebnis aber schwer. Denn sie können gegen solche Gründe nichts tun. Und Politiker:innen wollen immer was tun, um den Wähler:innen zu zeigen, dass sie aktiv sind, dass sie die Kontrolle haben, dass sie Probleme lösen können.

Und scheinbar wird die sinkende Zahl der autochtonen Bevölkerung als Problem identifiziert. Warum?

Für die einen, weil es zu wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen führt, also fehlende Arbeitskräfte, Sicherung der Pensionen usw. Kinder werden hier in ihrer Funktion als Stabilisierung der Gesellschaft im Status quo wahrgenommen. Kindern werden in dieser Hinsicht instrumentalisiert, sie sind dann lediglich Mittel zum Zweck.

Für die anderen kommt noch ein anderes Problem hinzu, dass in nationalsozialistischer Terminologie als Überfremdung bezeichnet wird: Wenn wir mehr eigene Kinder haben – so das Argument – dann brauchen wir keine Ausländer zur Absicherung unseres Lebens. Damit können wir auch unsere Lebensweise und Kultur rein halten. Neben der Fremdenfeindlichkeit dieser Argumentation muss kritisch angemerkt werden, dass hier Kinder ebenfalls lediglich verzweckt werden. Auch hier sollen sie zur Absicherung des Status quo dienen.

Beide Perspektiven fokussieren ganz auf einen beschränkten Bereich eines Staates oder Landes. Was aber, wenn wir eine globale Perspektive einnehmen? Warum sollen sich auf dieser Erde noch mehr Menschen ausbreiten? Wäre es nicht längst an der Zeit, dass die Weltbevölkerung wieder schrumpft? Wäre das nicht besser für die Welt, die Menschen und den Planeten?

Und was ist eigentlich so schlimm daran, dass bestimmte Völker oder Ethnien aussterben? Das gab und gibt es ja ständig – im Laufe der Geschichte?

Wir glauben ja nur in Europa, dass es so wichig wäre, den Europäer zu erhalten. Warum eigentlich?

Die politische Diskussion verbindet zwei Zugänge, die eigentlich nicht recht miteinander vereinbar sind. Der Politik ist diese Widersprüchlichkeit egal, wir fragen da aber genauer nach.

Zum einen will sie Gründe angeben, warum es sinnvoll ist, Kinder zu bekommen. Zum anderen setzt sie aber oft voraus, dass das Kinderkriegen sowieso etwas Natürliches sei, also einer Art von Naturnotwendigkeit folgt. Wenn zweiteres der Fall ist, dann bräuchte es aber keine Gründe, denn die Menschen hätten dann keinen freien Willen darüber.

Das ist aber offensichtlich nicht der Fall, also ist das Kinderkriegen keine Naturnotwendigkeit. Daher muss man also Gründe benennen.

Das hat aber auch Probleme. Denn wie sich schon gezeigt hat, machen Gründe Kinder zum Mittel zum Zweck. Allgemein gesprochen: Wer Gründe angibt, sagt: „Mache x, damit du y erreichst.“ Also konkret: „Mache Kinder, damit du y erreichst.“ Y könnte jetzt verschiedenes sein: z. B. Pensionssicherung, Wohlstandssicherung, Abwehr der Überfremdung oder auch sehr persönlich die Freude, die man durch Kinder vermittelt bekommt.

In jedem Fall aber gilt: X – also die Kinder – sind immer Mittel zur Erreichung des Zieles Y. Das bedeutet: Benennt man Gründe, warum man Kinder bekommen soll, werden Kinder zum Instrument, zum Werkzeug, das für die Zielerreichung eingesetzt werden soll. Das wird aber den Kindern als Menschen mit Würde nicht gerecht.

Denn kein Mensch darf ausschließlich als Mittel zur Zielerreichung angesehen werden. Der Mensch ist immer auch Ziel an sich selbst und niemals bloßes Mittel für ein Ziel. Auch nicht, wenn als Ziel genannt wird, dass die Kinder eine Bereicherung für die Eltern sind.

Zwischen diesen beiden Extremen – also Nennung von Gründen und Naturnotwendigkeit – gibt es noch einen Mittelweg. Dieser Mittelweg ist jener, den vor allem die katholische Kirche gehen möchte. Oder verallgemeinerter gesagt, jene, die das Naturrecht vertreten.

Diese Vertreter:innen sagen: Es gibt eine natürliche Hinordnung des Menschen zum Kinderkriegen. Der Mensch ist frei und muss dieser natürlichen Hinordnung nicht folgen. Wenn er das aber nicht tut, dann handelt er moralisch schlecht. Moralisch gut handelt er, wenn er dieser Naturordnung folgt.

Diese Ansicht meint, es gäbe eine Naturordnung, der der Mensch aber nicht notwendigerweise folgen muss. Daher muss es dem Menschen mithilfe von Gründen einsichtig gemacht werden, dass er dieser Naturordnung folgen soll.

Die konkrete Argumentation wird dann sehr unterschiedlich ausformuliert:

Biologisten sagen zum Beispiel, dass jede Art auf Selbsterhaltung aus ist. Also soll sich auch der Mensch selbst erhalten.

Andere sagen wieder, dass der Mensch sich nur dann vollkommen selbst verwirklicht, wenn er sich ganz dem Schaffen von neuem Leben hingibt.

Religiöse Menschen sehen darin auch eine Art Mitmachen an der Schöpfung Gottes.

Wieder andere meinen, dass es in der Natur des Menschen liegt, nicht nur den Menschen an sich, sondern die konkrete Sprache, Kultur, Traditionen oder Religion zu erhalten.

In meinem Theologie-Studium habe ich übrigens noch gelernt, dass alle Ehepaare mindestens drei Kinder bekommen sollen: Zwei um die Eltern zu ersetzen und eines um jene zu ersetzen, der keine Kinder bekommt. Im letzteren Fall soll dabei vor allem an die zölibatär lebenden Priester gedacht werden.

Deutlich sieht man, dass hier das Arterhaltungsargument ganz im Vordergrund steht.

Wir sehen schon, dass manche Argumente dem politischen Diskurs sehr nahe kommen. Wir sehen aber auch, dass wieder das bekannte Problem der Verzweckung der Kinder auftaucht: Kinder sind notwendig zur Arterhaltung, zur Selbstverwirklichung oder zum Erhalt kultureller Güter.

Aber Kinder als Kinder, Kinder als Menschen geraten hier aus dem Blick.

Sicher. Man könnte sagen: Um der Kinder selbst willen bekommt man Kinder.

Aber auch bei dieser Argumentation tauchen zwei Probleme auf:

1. Genauso gut könnte man nämlich sagen: Um der Kinder willen bekommt man keine Kinder. Wie ich zuvor schon ausgeführt habe, ist das ja das Argument im Kontext vielfacher Krisen. Das kann also gar kein Argument sein, weil es in beide Richtung gehen kann.

2. Außerdem kann man nichts um willen von etwas machen, was es noch gar nicht gibt. Man kann also weder Kinder bekommen noch nicht bekommen um willen von Kindern, die noch gar nicht existieren. Ein nicht-existenter Mensch, hat auch keine Menschenrechte.

Was soll man also tun?

Ihr seht schon. Ich bin weit davon entfernt, klassisch das Kinderkriegen zu verteidigen oder zu begründen. Es gibt gute und gewichtige Gründe gegen das Kinderkriegen.

Ich bin da mit meinem Denken sicher noch nicht fertig und vielleicht werde ich demnächst schon ganz anders sprechen. Für jetzt scheint es mir, dass es gar keine allgemeinen Gründe geben darf, warum man Kinder kriegen oder auch nicht kriegen soll.

Ja, selbst individuelle Gründe würde ich ablehnen.

Dagegen würde ich sagen: Bekommt einfach Kinder – oder auch nicht! Denkt gar nicht erst über Gründe dafür oder dagegen nach! Kinder sind immer etwas Gutes. Und wenn man kein Kind bekommt, ist es auch gut.

Die viel wichtiger Frage scheint mir zu sein, in welche Situation werden Kinder hineingeboren. Und da spreche ich nicht nur von der derzeitigen globalen Situation, sondern auch von der individuellen Lebensituation der Eltern.

Denn ich habe den Eindruck gewonnen, dass gerade jene am zweifelnden Überlegen sind, ob sie Kinder bekommen sollen, die mit ihrer Lebenssituation überwiegend unzufrieden sind. Also jene, die Kinder nicht definitiv ausgeschlossen haben, aber noch nicht genau wissen, ob sie welche bekommen wollen, sind meist mit ihrer gegenwärtigen Lebenssituation eher unzufrieden. Sie sind daher gezwungenermaßen mehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie sich um ein neues Leben kümmern könnten.

Eben dieser Frage – nämlich in welche Welt Kinder hineingestellt werden – möchte ich in der nächsten Folge nachgehen. Bis dahin verabschiede ich mich. Für heute ist Schluss.

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