Schließlich saß ich doch am Sonntag Vormittag im Zug nach Trevi. Das viele hin und her überlegen war nicht einfach gewesen. An Ende stand der Entschluss, zwei Tage vor dem eigentlichen Aufenthalt den größten Teil des Gepäcks in die nächste Unterkunft zu bringen.
Ja, was soll ich sagen. Wir wollten Geld sparen. 90 Euro hätte uns der mehr als 30 km lange Transport gekostet.
Wieso wir das Gepäck schon zwei Tage früher nach Trevi bringen wollten? Ganz einfach. Weil wir in zwei Tagesetappen zu Fuß von Assisi über Spello nach Trevi gehen wollten. Da wir aber in Assisi zehn Tage zelteten, hatten wir einfach zu viel Gepäck, als dass wir es zwei Tage mit uns schleppen konnten.
Der Weg vom Campingplatz zum Bahnhof in Assisi ist ja noch ein Klacks. Von den sechs Kilometern bin ich fünf mit dem Bus gefahren. Am Rücken ein großer Rucksack mit Zelt und allem Zubehör und Gewand. Und vorne ein kleiner Rucksack mit irgendwelchem anderen Zeug. Insgesamt sicher mehr als 20 kg.
Meine Frau wollte mitkommen, hat aber dann einige organisatorische Dinge erledigt.
Nach 25 Minuten Zugfahrt kam ich in Trevi an.
So. Da braucht es jetzt ein paar Infos: Zuerst muss der ungeübte Italienurlauber wissen, dass sonntags der öffentliche Verkehr eher mäßig ist – und das ist noch harmlos ausgedrückt. Wir waren schon von Städten so groß wie Feldkirch oder Steyr nicht weggekommen, weil kein einziges öffentliches Verkehsmittel gefahren war.
Und die zweite Info: Der Bahnhof von Trevi ist am Fuße eines Hügels. Trevi ist am Hügel oben. Distanz ca. 2 km. Höhenunterschied ca. 200 m. Einwohnermäßig ist Trevi so groß wie Neusiedl am See, Judenburg oder Kitzbühel.
Und jetzt kann man sich schon denken, was kommt. Aber das war nicht einmal annähernd das Drama, das ich noch erleben werde.
Nun. Ich ging zur Bushaltestelle vor dem Bahnhof. Ich scannte den QR-Code.* Hilft nicht, PDF-Datei beschädigt und konnte nicht geöffnet werden. Das fing ja gut an.
„Non lo so per domenica.“ Der Nachbar der Bushaltestelle wusste also auch nicht, wann heute ein Bus fährt. Ich gehe davon aus: NIE!
Also ging’s zu Fuß los und ich schleppte nicht nur meine 85 kg, sondern auch die über 20 kg Gepäck vom Bahnhof ins Ortstentrum. Das ging ja noch. Hinsetzen, durchschnaufen, Wasser trinken, Wasser nachfüllen, hinsetzen, Google Maps herausnehmen, Unterkunft eingeben und Route suchen lassen. Dass die Unterkunft außerhalb war, wusste ich schon. 2,8 km ist jetzt auch nicht so weit. Dachte ich.
350 m Höhenunterschied. Auf das hatte ich aber zu diesem Zeitpunkt nicht geschaut. Was sagen auch schon Zahlen aus, wenn man sie nicht untern Füßen hat. Erst die Füße geben die wahre Bedeutung dieser Zahlen wieder.
Bus fuhr eh keiner und Taxi sah ich auch überhaupt nirgends nicht keines.**
Ich trottete in meiner kindlichen Naivität der Route von Freund Google Maps gemäß los. Es begann ein steiler Aufstieg. Ich sage: ein steiler Aufstieg. Ein wirklich steiler Aufstieg.
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Mittlerweile knallte auch die Sonne mit ihrer freundlichen, zärtlichen Hitze herunter, die mir alsbald das abflussähnliche Schwitzen lehrte. Und weit und breit gab es keinen Schatten.
Ein steiler Aufstrieg.
Schritt für Schritt schleppe ich mich und das andere Zeug hinauf.
Schritt für Schritt.
Immer nur bergauf.
Bergauf.
Bergauf.
Keuchend.
Trockene Hitze. Trockener Mund.
Bergauf.
Immer nur bergauf.
Wasser trinken.
Weiter bergauf.
Schweres Atmen.
Bergauf.
Kleiner Schritt für kleinen Schritt.
Ausgetrocknetes Atmen.
Bergauf.
Fortwährend bergauf.
Hitze. Hitze. Hitze.
Hört denn das nie mehr auf?
Nach der Kurve. Da sieht es flacher aus.
Bei der Kurve. Es geht weiter bergauf.
Es hört nicht auf.
Kontinuierlich berghauf.
Verzweiflung. Wut. Ärger über die eigene Dummheit, nicht einfach 90 Euro gezahlt zu haben.
Bergauf.
Trockener Mund.
Hitze.
Bergauf.
Penetrant bergauf.
Wasser trinken.
Schwitzen.
Ernsthaft? Immer noch bergauf.
Bergauf, bergauf, berg-a-a-auf,
wir gehen besoffen nach Haus.
Lustig sein hilft auch nicht.
Die Hitze knallt.
Der Mund trocknet aus.
Die Schultern schmerzen.
Der Rücken auch.
Und es geht weiter bergauf.
So, die ersten 500 m hatte ich hinter mir. Pause. Im Schatten eines Olivenbaumes. Trinken. Atmen nicht vergessen.
Soll ich jetzt wirklich weiter schreiben, wie die restlichen 2 km waren?
BERGAUF!
Wer hätte das gedacht?
Bis zur Weggabelung.
Ab da ging’s … hm … bergauf.
Wie ungewöhnlich.
Nach Ewigkeiten und drei Tagen*** kam ich endlich bei der Hauptstraße des Dorfes an, in dem die Unterkunft lag. Coste San Paolo.°
Ab da ging’s erst richtig bergauf. Und zwar so, dass ich mich fragte, wie da überhaupt ein Auto um die steilen Kurven fahren kann. Egal. Ich war kein Auto, sondern ein über 110 kg schweres Fleisch-Rucksack-Gebilde, dass sich durch die Landschaft schob.
Ich komme an. Vom Bahnhof aus gemessen nach fast zwei Stunden.
Glaubt aber nicht, dass der Wahnsinn jetzt ein Ende hat. Lest weiter!
Ich traf den Unterkunftsgeber, lud meine Rucksäcke ab. Er bot mir an, mich zum Bahnhof zu bringen, wenn ich eine halbe Stunde warten würde. Das nahm ich gern an.
Ich setzte mich im Freien hin und schaute hinunter auf Trevi. Ja, schöne Aussicht. Die hatte ich mir auch hart erarbeitet.
Ich saß also da und überlegte. Mein Körper gab mir seltsame Signale. Er wollte nicht sitzen, er wollte gehen.
Wie heißt es so schon neunmodisch-esoterisch? „Du musst auf deinen Körper hören.“ Ist mein Körper plemplem?
Naja. Gehört, getan. Ich sagte meinem Unterkunftsgeber, dass ich doch zu Fuß gehe, (er schaute unglaubwürdig) und verabschiedete mich. Ohne Gepäck und bergab ging’s gleich leichter. In 30 Minuten war ich in Trevi. Es ging flott dahin.
Dort brauchte es einen kleinen Genuss im Café am Hauptplatz.
Was? Die haben keine Cioccolata calda. Echt jetzt? Was ist das für ein Laden? Na gut, dann Lemon Soda, ein Tramezzini und ein Cornetto. Die Welt war wieder in Ordnung.
Es war 11:11 Uhr.°° Ich zückte mein Handy. Wann fährt der nächste Zug?
Habe ich schon erwähnt, dass es sonntags sehr schlecht um den öffentlichen Verkehrt steht? Also der nächste Zug fährt um … 11.11 Uhr. Okay. Das ist jetzt.
Der nächste? 15:06 Uhr. Und er braucht wegen einer einstündigen Wartezeit in Foligno anderthalb Stunden nach Assisi. Soll ich jetzt vier Stunden hier warten und dann noch eine Stunde dort?
„Du sollst auf deinen Körper hören!“ Vier Stunden sitzen und ein Buch lesen. Das ging gar nicht.
Also ging der Wahnsinn einfach weiter.
Der Franziskuspilgerweg verbindet die Städte Trevi – Foligno (so groß wie St. Pölten) – Spello – Assisi. Also, bevor ich warte, gehe ich einfach zu Fuß nach Foligno. Die Hoffnung war, dass dort ein Zug früher nach Assisi fährt. Auf einer Pilgerwegtafel wird der Weg mit 12 km angegeben.°°° Ha, Pipifax:
1. Im Durchschnitt gehe ich 7 km/h. Die Strecke müsste also bei einer kleinen Pause in zwei Stunden machbar sein.
2. Foligno ist eine der wenigen umbrischen Städte, die im Tal liegen. D. h. von Trevi aus geht es immer bergab! Ich betone: bergab! Und zwar ca. 200 Höhenmeter. Also wird das easy cheesy.
Dementsprechend mache ich Tempo! Abmarsch: 11:30 Uhr. Wenns bergab oder flach geht, ist das kein Problem. Da drück ich auf die Tube.
Ich hatte nur die Rechnung ohne die schlechte Wegmarkierung gemacht. Denn tatsächlich hatte ich eine übersehen. Und dann musste ich zusehen, wie ich nach Foligno komme. Es waren dann sicher mehr als 12 km. Ich musste mehr Tempo machen. Alles ohne Pause. Ja, Pausen sind was für Luschen mit Arschgeweih und zwei linken Füßen. Nicht mit mir, mein Freund. … Obwohl ich nicht wusste, mit wem ich da gesprochen hatte. Irgendwie schon im Dilirium.
Exakt zwei Stunden später kam ich am Bahnhof in Foligno an. Wartezeit auf den nächsten Zug: anderthalb Stunden. Ankunft in Assisi: 15 Uhr irgendwas.
Das geht. Mein Körper war zur Ruhe gekommen. Ich setzte mich in ein Cafè. Was? Wieder keine Cioccolata calda? Na, wenn das hier so weiter geht, dann weiß ich auch nicht. Also, schwarzer Tee. Vorteil des Kellners: Er wusste, was das ist.+
Nachteil des Kellners: Er wusste nicht, wie man Tee zubereitet. Sachen gibt’s.
Zwei Tage später schleppte ich mich in Trevi wieder dieselbe Strecke bergauf. Was soll man machen?
Der Wahnsinn geht und meist bergauf.
* Wenn es keine Bedarfshaltestelle ist, dann gibt es in Italien immer einen QR-Code, mit dem man sich den Fahrplan aufs Handy laden kann.
** Später erfuhr ist, dass Taxis erst aus Foligno kommen müssen. Was das bedeuten würde, kann man später lesen.
*** Dies ist nicht als exakte Zeitangabe zu verstehen.
° „Costa“ heißt übrigens nicht nur Küste, denn Meer war hier oben wohl keines vorhanden, sondern auch Hang. Es sind also die Hänge des Heiligen Paulus, der ja auch durch die Gegend gereist ist.
°° Die ganze Geschichte spielt übrigens nicht am 11. November, sondern Mitte August.
°°° Ich erinnere an dieser Stelle nochmals an das Taxi-Problem in Trevi.
+ Viele umbrische Kellner*innen wissen vom schwarzen Tee nichts. Wenn man einen „tè nero“ bestellt, erhält man als Antwort: „Non c’è. Solo tè classico.“ Jetzt ratet mal, was „tè classico“ ist. Genau: schwarzer Tee. Manchmal hört man jedoch auch, dass man nur „tè inglese“ hat oder man bekommt einen „English breakfast“ gezeigt. Ja, liebe Leute, das sind alles Schwarzteesorten. Umbrien hat vieles, nur keine Frühstücks- und auch keine Teekultur.