Eine Frau spricht mit einem vermeintlichen Gärtner, der sie verlassen muss. In unseren Gefühlen eröffnet sich plötzlich ein Tor zum Himmel. Doch am Ende muss uns Jesus verlassen. In dieser Folge geht es um den zweiten Teil der ersten Auferstehungserzählung im Evangelium nach Johannes.
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Transkript
Herzlichen Willkommen zur 30. Episode meines Podcasts „aus&aufbrechen“. Ich habe in der letzten Episode begonnen, die erste Erscheinung des auferstandenen Jesus zu deuten, wie sie der Evangelist Johannes erzählt. Im Mittelpunkt stand der Wettlauf bzw. der Wettstreit von zwei Jüngern: Petrus und der Jünger, den Jesus liebte. Diesen Wettstreit hat allerdings eine Frau für sich entschieden, nämlich Maria aus Magdala.
Bisher war sie im Evangelium nur eine kleine Nebenfigur, die erst bei der Kreuzigung Jesus zum ersten Mal auftaucht. Jetzt – im zweiten Teil dieser Auferstehungserzählung – wird sie aber zur Hauptfigur. Das zärtliche Gespräch mit Jesus erinnert an das längst verlorene Paradies. Das steht heute im Mittelpunkt.
Bevor ich aber genauer darauf eingehe, möchte ich wie immer auf die Kontaktmöglichkeiten und meine Social-Media-Kanäle aufmerksam machen. Du findest sie in den Shownotes. Nachrichten und Kommentare sind immer willkommen. In den Shownotes findest du auch den Link zu meiner Webseite, auf der du dich zu meinem Newsletter eintragen kannst. Dort findest du auch die Möglichkeit, mich auf einen Tee einzuladen.
Damit dir die Geschichte, von der ich rede, wieder in Erinnerung gerufen wird, lese ich sie nochmals vor.
An dem ersten Tag der Woche aber kommt Maria Magdalena früh, als es noch finster war, zur Gruft und sieht den Stein von der Gruft weggenommen. Sie läuft nun und kommt zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger, den Jesus lieb hatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn aus der Gruft weggenommen, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Da ging Petrus hinaus und der andere Jünger, und sie gingen zu der Gruft. Die beiden aber liefen zusammen, und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam zuerst zu der Gruft; und als er sich vornüberbeugt, sieht er die Leinentücher daliegen; doch ging er nicht hinein. Da kommt Simon Petrus, der ihm folgte, und ging hinein in die Gruft und sieht die Leinentücher daliegen und das Schweißtuch, das auf seinem Haupt war, nicht zwischen den Leinentüchern liegen, sondern für sich zusammengewickelt an einem ⟨besonderen⟩ Ort. Da ging nun auch der andere Jünger hinein, der zuerst zu der Gruft kam, und er sah und glaubte. Denn sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er aus den Toten auferstehen musste. Da gingen nun die Jünger wieder heim. Maria aber stand draußen bei der Gruft und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich vornüber in die Gruft und sieht zwei Engel in weißen ⟨Kleidern⟩ dasitzen, einen bei dem Haupt und einen bei den Füßen, wo der Leib Jesu gelegen hatte. Und jene sagen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Weil sie meinen Herrn weggenommen und ich nicht weiß, wo sie ihn hingelegt haben. Als sie dies gesagt hatte, wandte sie sich zurück und sieht Jesus dastehen; und sie wusste nicht, dass es Jesus war. Jesus spricht zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie, in der Meinung, es sei der Gärtner, spricht zu ihm: Herr, wenn du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast! Und ich werde ihn wegholen. Jesus spricht zu ihr: Maria! Sie wendet sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni! – das heißt Lehrer. Jesus spricht zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und zu meinem Gott und eurem Gott! Maria Magdalena kommt und verkündet den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen! – und dass er dies zu ihr gesagt habe.
Joh 20,1-18
Der zweite Teil der Geschichte setzt wie schon der erste Teil wieder bei Maria aus Magdala an. Von ihr wird zwar erzählt, wie sie von der Gruft zu den Jüngern geht, aber nicht, dass sie wieder zurückgegangen ist. Sie ist scheinbar den Jüngern gefolgt, denn jetzt steht sie wieder bei der Gruft
Wir können diesen zweiten Teil wiederum in zwei Abschnitte einteilen: zuerst ein Dialog mit den Engeln, dann der Dialog mit Jesus.
Die beiden Jünger sind wieder zurückgekehrt. Auf ihre emotionale Lage wird nicht eingegangen, vielmehr wird ihre rationale Seite angesprochen. Denn es heißt, dass sie glaubten, aber noch nicht verstanden.
Von Maria aus Magdala wird hingegen gesagt, dass sie weint. Hier tritt ihre emotionale Verfassung in den Vordergrund. Aber warum weint sie? Naheliegend ist aus Traurigkeit, aber vielleicht auch aus Verzweiflung, weil man den Leichnam weggenommen hat.
Schon damals kamen Theorien über einen Diebstahl des Leichnams auf. Daher schildert der Evangelist auch so eindrücklich, wie schön sortiert die Leinentücher daliegen. Denn Diebe hätten das wohl nicht gemacht. Vielleicht glaubt auch Maria zu diesem Zeitpunkt an einen Diebstahl.
Aber sie lässt sich emotional auf dieses Fehlen des Leichnams ein, auf die Leere, die durch das geöffnete Grab symbolisiert wird. Sie lebt ihre Gefühle aus. Und damit eröffnet sich eine Dimension, die den „schauenden“ Jüngern verschlossen geblieben ist: Maria tritt mit dem Himmel, mit Gott selbst in Form der Engel in Kontakt, führt mit ihm ein Gespräch.
Wie schon im Paradies Gott Adam nach dem Sündenfall fragt: Warum versteckst du dich?, fragen die Engel hier: Warum weinst du? Maria drückt ihre Ratlosigkeit, ihre Verlorenheit aus. Sie drückt das Fehlen ihres Herren aus, das ihr Tränen in die Augen treibt.
Maria wendet sich um und sieht Jesus, den sie aber als solchen nicht erkennt. Zu diesem Nicht-Erkennen muss etwas gesagt werden, bevor ich in der Geschichte weiter gehe: Denn diese Nicht-Erkennbarkeit des Auferstandenen haben wir in vielen Erzählungen; so erkennen die Jünger, die nach Emmaus gehen nicht, wer sie begleitet, oder jene Jünger, die am See von Tiberias erfolglos fischen, wer ihnen die Anweisung gibt, auf der rechten Seite Fische zu fangen.
Überlegen wir mal: Jesus stirbt am Kreuz, der Leichnam wird ins Grab gelegt und Jesus steht drei Tage später wieder auf. Wer schon einmal eine Leiche gesehen hat, weiß, dass sie etwas verändert aussieht, als noch zu Lebzeiten, aber nicht so, dass man den Menschen nicht erkennen könnte. Und wenn in eine solche Leiche wieder Leben kommt – ich gebe zu, dass ich so etwas noch nie gesehen habe – dann kann man sich zumindest vorstellen, dass nach drei Tagen der Körper sich nicht zur Unkenntlichkeit verändert hat. Fassen wir die Auferstehung also so auf, dann ist diese Nicht-Erkennbarkeit nicht zu erklären und völlig unsinnig.
Mit diesem Motiv des Nicht-Erkennens soll gesagt werden, dass die Auferstehung nicht so naiv von statten gegangen ist, dass in den Leichnam einfach wieder Leben gekommen ist. Die Erzählungen wollen Hinweise geben, dass trotz der sehr naturalistischen Erzählweise, das Verständnis von Auferstehung Jesu nicht naturalistisch vorzustellen ist.
Ich möchte es bei diesen Bemerkungen belassen. Es soll hier die Geschichte weiter verfolgt werden.
Maria wendet sich um, sieht Jesus, erkennt ihn aber nicht. Nun fragt auch Jesus: „Warum weinst du?“ Und er fügt hinzu: „Wen suchst du?“ Er unterstellt ihr richtigerweise, dass sie auf der Suche ist. Die Suche des Menschen ist ein Grundthema des Johannes-Evangliums. Schon die ersten Jünger, die ihm nachgelaufen sind, fragt er: „Was sucht ihr?“ (Joh 1,38)
Vielleicht kann man das auch als Deutung von Marias Ganges zur Gruft generell deuten. Denn wie ich schon in der letzten Episode hervorgehoben habe, wird in der Erzählung nicht gesagt, warum Maria überhaupt am Sonntag noch vor Sonnenaufgang, also in der Finsternis, das Grabmal Jesu aufsucht. Das Vorhaben, den Leichnam salben zu wollen, wie es die anderen Evangelisten erzählen, wird von Johannes nicht genannt. Er nennt gar keinen Grund.
Maria hält Jesus nun für den Gärtner. Dieses Gärtner-Motiv wird häufig einfach überlesen. Man meint, mit dieser Erwähnung soll einfach das Nicht-Erkennen und die Verwechslung deutlicher werden. Aus meiner Sicht steckt dahinter aber eine theologische Aussagen.
In der letzten Episode habe ich schon hervorgehoben, dass die Dialoge und Aussagen Jesu bei Johannes immer auf zwei Ebenen zu verstehen sind: Auf der irdischen Ebene liegt hier einfach eine Verwechslung mit dem Gärtner vor. Aber auf der überirdischen Ebene ist Jesus der Gärtner. Wie nämlich Gott den Garten in Eden angelegt und gepflegt hat, so wird auch hier Jesus zum Gärtner.
Für mich ist es eine Anspielung auf die Paradies-Geschichte. Dass Jesus überhaupt bei Johannes in einem Garten begraben wird, ist eine Verbindung zum Garten Eden: Durch den Sündenfall haben wir die Unschuld verloren, sind seitdem in böse Zusammenhänge verstrickt. Durch Jesus werden uns die Sünden weggenommen, so bekennt schon Johannes der Täufer. Der, der keine Schuld hat, wie Pilatus dreimal sagt, nimmt uns die Sünde weg. Das Grab befindet sich mitten im Garten. Aus ihm wächst neues Leben hervor, nicht nur für Jesus, sondern für alle Menschen. Die Gruft ist der Baum des Lebens.
Hier wird die Geschichte der Rückkehr ins Paradies erzählt. Auch indem ein Mann und eine Frau, die ihren Herrn sucht, zueinander finden. Stell dir daher diese ganze Szene als eine Begegnung voller Zärtlichkeit vor, die die Frau aus ihren Tränen herauserlöst und ihr einen Auftrag überantwortet.
Wie aber erkennt Maria, dass es sich bei dem Mann um Jesus handelt. Ganz einfach: Jesus spricht sie mit ihrem Namen an.
Im biblischen Denken sind Namen keine Etiketten, die man willkürlich auf Personen kleben kann. Denn heute würden wir sagen, ob ich Karlheinz, Hubert oder Leon heiße, ist völlig egal. Dadurch würde mein Wesen, meine Eigenart nicht berührt werden. Und doch hat der Name eine große Bedeutung: Wer meinen Namen ruft, hat mich im Griff. Ich werde als ganzer Mensch erfasst und kann mich dem Ruf des Rufenden nicht mehr entziehen. Ich kann nur noch reagieren. Wer meinen Namen kennt, der hat auch diese Macht über mich, mich als ganzen Menschen anzusprechen.
Und Maria wird nun von Jesus mit dem Aussprechen ihres Namen mit ihrem ganzen Wesen erfasst. Und in diesem Erfassen erkennt sie, wer sie da erfasst. Wie schon beim Jünger, den Jesus liebte, bildet die Grundlage von Erkenntnis Jesu und Zeugenschaft nicht, wie sehr ein Mensch Jesus liebt, sondern dass er von Jesus geliebt und in seinem Wesen erfasst wird.
Noch einmal wird gesagt, dass sich Maria umwendet. Sieht man darin einen körperlichen Vorgang, müsste Maria sich nun von Jesus abwenden. Das wäre aber unlogisch, wenn sie ihn dann mit Rabbuni anspricht. Es geht also bei den zweimaligen Umwendungen um innere Veränderungen der Maria, die als äußerliche erzählt werden. Diese Erzählung ist also auch eine Erzählung innerer Veränderungen, die durch die Erfahrung mit der Leere und die Erfüllung des Angesprochenseins geschehen.
Und jetzt ist sie bereit zwei wichtige Botschaften von Jesus zu hören:
Zum einen die Botschaft, dass Jesus die Welt verlassen muss. Die ganze Erzählung ist hochemotional aufgeladen. Wir können uns denken, dass Maria Jesus, den sie so sehnlich sucht, nicht mehr loslassen will. Das Gegenteil ist aber von ihr gefordert. Sie soll ihn nicht aufhalten, denn Jesu Auftrag ist noch nicht erfüllt. Das Paradies ist noch nicht vollständig wiederhergestellt. Vielmehr muss uns Jesus wieder verlassen.
Auch dies ist eine Botschaft, die wir gern überhören: Mit inbrünstigen Worten wird immer wieder verkündet, dass Jesus uns nahe und gegenwärtig ist. Hier wird das Gegenteil gesagt: Jesus muss die Welt verlassen und zu seinem Vater gehen. Wir Menschen sind also Jesusverlassene. Der Garten, in dem wir tatsächlich leben, ist immer noch ein durch Sünde und Verlassenheit gebrochenes Paradies.
Genau das ist der Auftrag, den Maria nun von Jesus erhält; die andere Botschaft: Sie soll den Jüngern verkünden, dass Jesus zum Vater gehen muss. Diesen Auftrag führt sie auch durch.
Wenn wir damit nochmals zurück zum Wettlauf der Jünger und dem kirchenpolitischen Hintergrund schauen, so zeigt sich folgendes Bild: Die zwei für die frühe Christenheit bzw. für die Gemeinde, für die das Evangelium geschrieben wurde, bedeutenden Persönlichkeiten rivalisieren miteinander, wobei es für den wichtigsten Zeugen der Gemeinde kein Problem darstellt, Petrus dem Vorrang zu lassen. Hier geht es also um die Frage, welcher der beiden bedeutenden Männer erster Zeuge des leeren Grabes ist. Diesen Wettstreit kann Petrus für sich entscheiden, aber nicht weil er der Schnellere ist, sondern weil ihn der Schnellere vorlässt.
Wer ist aber erste Zeugin der Auferstehung? Es ist eine Frau. Die Männer gehen einfach wieder zurück. Eine Frau aber ist es, der sich in ihrer Trauer und Verzweiflung die Pforten des Himmels öffnen und sie in der Zuwendung Jesu die Erkenntnis für die Wahrheit erlangt. Die Wahrheit, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, dass hinter der Leere des Grabes neues Leben steckt, dass uns Jesus Richtung Vater verlassen muss. Das wahre Licht und Wort, dass vom Vater herabgekommen ist, muss nun wieder zum Vater zurückkehren.
Maria ist verzweifelt. Sie will an Jesus festhalten. Wenn schon nicht am lebenden, dann doch am toten. Sie weint, über die Leere des Grabes, weil sie loslassen muss. Dann aber ein Hoffnungsschimmer. Jesus lebt. Doch auch ihn kann sie nicht festhalten, auch ihn muss sie loslassen. Und sie geht und berichtet alles den Jüngern.
Wollen nicht auch wir an Jesus festhalten, wenn wir ständig betonen und euphorisch singen, dass Jesus uns immer nahe ist?
Dringt Jesus mit seiner Botschaft nicht mehr zu uns durch, dass er uns verlassen muss? Dass in diesem Verlassen sein Auftrag liegt, um uns eine Wohnung beim Vater einzurichten, wie es das Johannes-Evangelium sagt?
Rufen wir deshalb zu Ostern umso lauter „Halleluja, Jesus lebt“, damit wir die Leere und das Verlassensein überschreien?
In dieser Jesusverlassenheit, in dieser neuen Finsternis hat Gott uns einen Beistand geschickt, den Heiligen Geist. So schreibt es der zuverlässige Zeuge, der Jünger, den Jesus liebte. Können wir sein Zeugnis annehmen? Können wir in der Zwiespältigkeit einer jesusverlassenen, geistgegenwärtigen Welt leben? Oder leben wir nicht nur jesusverlassen, sondern auch geistvergessen?