Karlheinz Six

Armut – Teil 5: Spirituelle Zugänge

Titelbilder: Armut - Teil 5 - Spirituelle Zugänge

Niemand will arm sein. Denken sich viele. Und doch gab es im Christentum zahlreiche Bewegungen, die in einer armen Lebensweise ihr höchstes Ideal gesehen haben. Drei dieser Zugänge möchte ich in der fünften Folge der Reihe zum Thema Armut vorstellen.

Ich freue mich über deine Fragen und Kommentare, auf die ich gern in der letzten Folge diese Reihe eingehen werden. Alle Nachrichten, die ich bis zum 15. Mai 2023 erhalte, kann ich berücksichtigen.

Verwendete Bibelstellen:

1 Petrus 2

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Inhaltliche Zusammenfassung

Herzlich Willkommen zur fünften Folge der Reihe zum Thema Armut. Dies ist zugleich die 18. Episode dieses Podcasts.

Wenn wir von Armen sprechen, haben wir meist Menschen vor Augen, die nicht arm sein wollen. Sie sind irgendwie in Armut geraten. Im Laufe der Jahrhunderte gab es aber auch Christen, die ganz bewusst, arm gelebt haben. Wie kommen die eigentlich dazu? Will man der Armut nicht entfliehen? Wer will schon arm sein?

Drei spirituelle Zugänge zur freiwillig gelebten Armut möchte ich heute vorstellen.

Bevor es richtig losgeht, noch kurz etwas Organisatorisches: Du kannst mir gern Fragen und Kommentare schicken, schriftlich oder als Audio. Alle Nachrichten, die ich bis zum 15. Mai 2023 erhalte, werde ich in der letzten Folge berücksichtigen. Denn in der siebenten Folge dieser Reihe werde ich mich den Fragen einer Überraschungsgesprächspartnerin stellen.

Bevor ich auf die drei spirituellen Traditionen zu sprechen komme, die die Armut in den Mittelpunkt stellen, möchte ich auf die Episode 8 zu sprechen kommen, wo ich schon einmal über spirituelle Armut gesprochen habe. Dabei ging es um eine Predigt von Meister Eckehart. Er unterscheidet dabei zwischen einer äußeren, materiellen Armut und einer inneren, spirituellen Armut. Das bedeutet, wenn ich äußerlich nicht arm, ja sogar reich bin, kann ich dennoch innerlich arm sein.

Diese drei spirituellen Ansätzen, von denen ich heute sprechen, gehen einen anderen Weg. Sie richten ihr Augenmerk auf die äußere Armut. Hier muss man dann noch eine Unterscheidung einführen: Die eine ist die unfreiwillige Armut, die man sich nicht ausgesucht hat, sondern im Laufe des Lebens hineingeraten ist. Die andere ist die freiwillige Armut, also jene, die man sich ausgesucht hat. Genau um diese soll es gehen. Es gibt Menschen, die sich freiwillig für die Armut entschieden haben.

In den vergangenen Episoden habe ich von den Wanderpredigern gesprochen, zu denen auch Jesus und seine Apostel gehörten. Sie haben auf materiellen Wohlstand verzichtet, weil sie durch die Lande gezogen sind und das Wort Gottes verkündet haben. Für sie war eine Sache so wichtig, dass sie ihren materiellen Wohlstand aufgegeben haben.

Ich komme auf die drei Traditionen zu sprechen, auf den benediktinischen, den franziskanischen und den dominikanischen. Alle drei gehen von unterschiedlichen Ausgangspunkten aus und kommen so zu unterschiedlichen Zugängen zum Thema Armut.

Benediktinische Tradition

Sie geht auf Benedikt von Nursia zurück. Er orientiert sich ganz an der Jerusalemer Urgemeinde, von der ich schon in der zweiten Folge dieser Reihe erzählt. Dabei ging es darum, dass die ersten Christen in Jerusalem ihren Besitz in die Gemeinschaft eingebracht haben, sodass allen alles gehört. Daran orientiert sich nun Benedikt von Nursia. Der Mönch bzw. die Nonne können all ihren Besitz in die Gemeinschaft einbringen, leben als Einzelne in Armut, jedoch die Gemeinschaft übernimmt den ganzen Besitz.

Benedikt hat die Vorstellung, dass innerhalb der Klostermauern alles haben, was sie benötigen. D. h. sie haben es gar nicht notwendig, das Klosterareal zu verlassen.

Im 33. Kapitel seiner Ordensregel hält Benedikt folgendes fest:

Keiner habe etwas als Eigentum, überhaupt nichts, kein Buch, keine Schreibtafel, keinen Griffel – gar nichts. […] Alles Notwendige dürfen sie aber vom Vater des Klosters erwarten, doch ist es nicht gestattet, etwas zu haben, was der Abt nicht gegeben oder erlaubt hat. „Alles sei allen gemeinsam.“

Der letzte Satz ist ein Zitat aus der Apostelgeschichte, wie die Jerusalemer Urgemeinde charakterisiert wurde.

Im Kapitel 58 schreibt er, was für die Neueintretenden wichtig ist. Unter anderem schreibt er:

Wenn einer Eigentum hat, verteile er es vorher an die Armen oder vermache es in aller Form durch eine Schenkung dem Kloster.

Wir sehen also, dass es Benedikt nicht nur um eine armes Leben geht, sondern auch um Fürsorge für die unfreiwillig Armen. Der Neueintretende kann also entscheiden, ob er seinen Besitz den Armen oder dem Kloster gibt.

Die Armenfürsorge soll mit dem Einritt in den Orden nicht zu Ende sein. Hier finden sich Sätze im 53. Kapitel der Ordensregel:

Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus; denn er wird sagen: „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen.“ Allen erweise man die angemessene Ehre, besonders den Brüdern im Glauben und den Pilgern. […] Vor allem bei der Aufnahme von Armen und Fremden zeige man Eifer und Sorge, denn besonders in ihnen wird Christus aufgenommen. Das Auftreten der Reichen verschafft sich ja von selbst Beachtung.

Hinter diesen Worten erkennen wir ganz deutlich die Weltgerichtsrede Jesu aus dem 25. Kapitel des Matthäus-Evangliums. Darauf bin ich schon in Folge 3 dieser Reihe eingegangen.

Franziskanische Tradition

Bei Franz von Assisi ist zunächst die Gemeinschaft im Vordergrund, sondern er als Einzelner, als Individuum. Ganz enthusiatisch möchte er Jesus nachfolgen, was bedeutet, dass er die Lebensweise Jesu nachahmen wollte. Da nach seiner Ansicht Jesus arm war, so muss auch seine Lebensweise eine arme sein.

So schreibt er einmal über Jesus:

Und er [Jesus] war arm und ein Fremdling und hat von Almosen gelebt, er selbst und seine Jünger.

Daher gilt dann auch für ihn und die Brüder, die in seine Ordensgemeinschaft eingetreten sind, folgendes:

Die Brüder sollen sich nichts aneignen, weder Haus noch Ort noch irgendeine Sache. Und gleichwie Pilger und Fremdlinge (vgl. 1 Petr 2,11) in dieser Welt, die dem Herrn in Armut und Demut dienen, mögen sie voll Vertrauen um Almosen gehen […].

Mit den „Pilgern und Fremdlingen“ greift Franziskus einen Vers aus dem ersten Petrusbrief auf. Dort heißt es:

Geliebte, da ihr Fremde und Gäste seid in dieser Welt, ermahne ich euch: Gebt den irdischen Begierden nicht nach, die gegen die Seele kämpfen!“

Und dieses Zitat verweist wiederum auf Abraham, der beim Tod seiner Frau, der während ihres Aufenthalts bei den Hetitern geschah, darauf hinweist, dass er da „Fremder und Beisasse“ (Gen 23,4) ist. Abraham gilt als Urtyp des Pilgers. So hat sich auch Franziskus verstanden: als Pilger durch das Leben, der durch Besitz nur behindert wird. Ganz anders also als Abraham. Damit verweise ich auf die 1. Folge dieser Reihe.

Für Franziskus steht ganz er selbst als Individuum im Vordergrund. Viele wollten seine Lebensweise teilen, sodass es zu einer Ordensgemeinschaft und zu einer Ordensregel kam. Im Gegensatz zu Benedikt war für Franziskus klar, dass nicht nur der Einzelne, sondern immer auch die Gemeinschaft arm leben. Der Besitz, den ein Neueintretender hat, soll ganz und gar an die Armen verschenkt werden. Der Gemeinschaft soll nichts bleiben.

Damit ist auch klar: Wer nichts hat, kann auch nichts geben. Die Brüder lebten selbst von Almosen und hatten keine Klöster, die sie versorgen konnten, sondern lebten in einfachen Holzhütten. So haben sie das Leben der Armen geteilt. Sie lebten nicht in großen Klöstern, sondern waren angewiesen auf das, was die Leute ihnen gaben. Sie haben freiwillig auf ihren Reichtum und ihre Privilegien verzichtet, um die Lebensweise Jesu zu teilen und damit die Lebensweise der Armen.

Vielleicht erinnerst du dich noch an den Satz von Papst Franziskus, der von der armen Kirche der Armen gesprochen hat. Dazu mehr in der 4. Folge dieser Reihe. Der Heilige Franziskus würde anders sprechen: Er würde von der armen Kirche mit den Armen sprechen. Also seine Option ist keine für die Armen, sondern mit den Armen, indem er selbst arm ist.

Dominikanische Tradition

Der Hl. Dominikus lebte ungefähr zu selben Zeit wie Franz von Assisi. Sein spiritueller Zugang hat noch einmal einen ganz anderen Ausgangspunkt.

Du erinnerst dich vielleicht noch an die 2. Folge dieser Reihe, wo es um das Neue Testament gegangen ist. Dort habe ich zwischen zwei Bewegungsrichtungen gegangen ist: Die eine ist die Nachfolge Jesu und die andere ist von Jesus ausgesandt werden. Einmal Jesus nachgehen, einmal von Jesus weggehen.

Wenn wir auf den Hl. Dominikus schauen, so sehen wir, dass bei ihm weder die ideale Gemeinschaft wie bei Benedikt noch die Nachfolge Jesu wie bei Franziskus im Mittelpunkt steht. Vielmehr versteht er sich als der Gesandte, der Vermittler und der Verkündiger der frohen Botschaft. Also gerade die Bewegung weg von Gott hin zu den Menschen. Aber nicht einfach im Sinne von Weggehen, sondern im Sinn einer Vermittlungstätigkeit. Als Verkündiger sieht er sich ganz als Werkzeug Gottes, das von Gott in Gebrauch genommen wird, sodass die göttliche Zuwendung bei allem Menschen ankommt, die sie benötigen.

Um aber in der Predigt, d. h. in der Wortverkündigung, glaubwürdig sein zu können, braucht es eine entsprechende Tatverkündigung. Also eine Verkündigung durch das eigene Leben. Der glaubwürdige Verkündiger hat so zu leben, wie derjenige, den er verkündigt. Das bedeutet: Der Prediger muss so arm leben, wie Jesus arm gelebt hat. Darin waren sich der Hl. Franziskus und der Hl. Dominikus einig.

Die Armut war also nicht zuerst intendiert, sondern ihm ging es zuerst um die Verkündigung. Darum, dass er hinausgesandt ist, um die frohe Botschaft zu verkündigen. Dazu bedarf es einer Lebensweise, die Jesus entspricht.

Abschluss

Wir haben also nun drei ganz unterschiedliche Zugänge zur freiwilligen Armut kennengelernt. Nach diesen fünf Folgen steht noch eine Frage an: Was bedeutet das für mich? Was bedeutet das für uns Christen? Wie sollen wir eine arme Kirche für oder mit den Armen sein? Das wir Thema der nächsten Episode sein.

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