Karlheinz Six

Klara von Assisi

Bild: Die drei Heiligen von Assisi - Klara von Assisi

Erst auf dieser Assisi-Reise habe ich Klara ein wenig näher kennen gelernt. Dem vorausgegangen ist ein Seminar über sie im steirischen Haus der Stille. Jetzt erst habe ich verstanden, wie sehr sie aus den damaligen gesellschaftlichen Erwartungen herausgefallen ist.

1193 wurde sie als älteste von drei Schwestern geboren. Ihr Mutter war die adelige Ortulana und ihr Vater der Ritter Faverone di Offreduccio. Sie lebten neben dem Dom San Rufino.

Also dem Adel gemäß im oberen Teil der Stadt, während Franziskus als Unternehmersohn auf der mittleren Ebene in der Nähe der Piazza Commune aufwuchs. Siehe dazu meinen Beitrag über Assisi.

1199 muss die Familie ins Exil, weil die Bürger (minores) gegen die Herrschaft des Adels (maiores) aufbegehrten. Erst zehn Jahre später kehrten die Frauen wieder nach Assisi zurück, also 1209.

Das Familienleben der Adeligen zur damaligen Zeit ist keineswegs mit unserem vergleichbar: Während der Vater seine Zeit am Land verbrachte, lebten die Frauen in der Stadt. Die Frauen durften aber ihre Wohntürme nicht verlassen. Diese wurden streng von den Männern der Familie bewacht; in Klaras Fall von ihrem Onkel. Nur für religiöse Aktivitäten, also Gottesdienste oder seelsorgliche Gespräche, durften die Wohntürme verlassen werden. Man kann sich daher vorstellen, dass ein Gottesdienst immer auch gesellschaftlicher Kontakt bedeutete.

Nicht nur von der gesellschaftlichen Zugehörigkeit, sondern auch von der Persönlichkeit unterschied sie sich von Beginn an von Franziskus. Er gab rauschende Feste, wollte Ritter, also Kämpfer, werden und später reicher Tuchhändler wie sein Vater. Erst viele Erlebnisse brachten ihn auf einen anderen Weg.

Klara hingegen war schon als Jugendliche sehr sensibel für die Armut der Menschen. Sie hielt Teile ihres Essens zurück, um es den Armen zukommen zu lassen.

Die Sitzordnung im Gottesdienst war gemäß der Stände organisiert, wobei die Adeligen und Reichen ganz vorn und die Armen außerhalb der Kirche saßen und standen. D. h. wenn Klara in die Kirche geht, dann muss sie durch die Masse der Armen hindurch. Auch das hat sie sensibilisiert für die Not der Armen.

Der Bruch von Franziskus mit der alten Lebensweise und dem Vater 1206 erregte sicherlich viel Aufsehen in Assisi. Nach ihrer Rückkehr aus dem Exil musste Klara irgendwie in Kontakt mit Franziskus gekommen sein. Wahrscheinlich unterstützt durch Bischof Guido I., der Franziskus von Beginn an wohlgesonnen war, obwohl er ein typischer Vertreter der damaligen Kirche war.

Und dann kam es zum entscheidenden Tag in Klaras Leben. Es musste eine aufregende Nacht gewesen sein, die nicht ohne Vorbereitung ablaufen sein konnte. Ich spreche vom Palmsonntag 1211, dem 27. März. Denn Klara wollte auch die Lebensweise des Franziskus annehmen, arm leben und für die Armen da sein.

Es begann mit dem Festgottesdienst. Damals war es üblich, dass die Gottesdienstfeiernden aus der Hand des Bischofs einen Palmzweig erhielten, indem sie nach vorn gingen. Klara allerdings blieb sitzen. So kam der Bischof zu ihr, um ihr den Zweig zu überreichen, was für Aufsehen sorgte.

In der Nacht gelang es ihr, durch einen unbewachten Hinterausgang aus dem Haus zu fliehen. Aber die Stadt selbst war verschlossen und wurde bewacht. Wie konnte sie also die Stadt verlassen? Man nimmt an, dass auch hier der Bischof seine Hände im Spiel hatte. Er besaß einen eigenen unbewachten Stadtausgang.

Dort erwarteten sie schon die Brüder des Franziskus. Gemeinsam liefen sie zur Porziuncula in Santa Maria degli Angeli, dem Wohnort der Brüder, ca. 3 km von Assisi entfernt. Noch in der Nacht legte Klara das Gelübde der Armut ab. Zum Zeichen dafür wurden ihr die Haare geschnitten.

Nach diesem Gottesdienst ging es aber noch weiter. Sie wurde in die Abtei San Paolo delle Abbadesse im heutigen Bastia Umbra gebracht, ca. 2 km von Santa Maria degli Angeli entfernt. Dort lebten Benediktinerinnen, die bereit waren, Klara vorübergehend aufzunehmen, bis sie entschieden hat, wie es weitergehen soll.

Bild: Abtei San Paolo delle Abbadesse (heute: Friedhof)
Abtei San Paolo delle Abbadesse (heute: Friedhof)

In den folgenden Tagen wurde der Familie aber bekannt, wo sich Klara aufhält. Der Onkel wollte sie mit gutem Zureden, dann aber auch mit Gewalt wieder nach Hause holen. Mit Unterstützung der Abtei widersetze sie sich.

16 Tage später – die Familie hat die Situation akzeptiert – wechselte sie ihren Aufenthaltsort. Sie ging zu den Waldschwestern von Sant’Angelo di Panzo, ca. 1 km oberhalb von Assisi. „Waldschwestern“ ist nur ein Hilfsausdruck, denn eigentlich weiß man gar nicht so genau, wer diese Frauengruppe war. Sie gehörten keinen Orden an, lebten in keinem Kloster, wollten aber aus religiöser Motivation in Gemeinschaft leben. Es scheint auch keine Verpflichtungen zur lebenslangen Zugehörigkeit gegeben zu haben.

Bild: Kapelle am Ort der Waldschwestern nahe Assisi
Kapelle am Ort der Waldschwestern nahe Assisi

In nur wenigen Tagen hat sich Klaras Leben grundlegend verändert: Verbrachte sie ihr bisheriges Leben hinter dicken, von Männern bewachten Mauern innerhalb einer Stadt, so lebte sie nun unter Frauen im Wald völlig frei. Sie war erst 18 Jahre alt, hatte zwei Hochzeiten ausgeschlagen und Mut und Standfestigkeit bewiesen, aus den gesellschaftlichen Konventionen auszubrechen.

Sie sollte aber auch zeigen, wie man aus religiösen Konventionen ausbrechen kann. Man muss nämlich wissen: Der Benediktinerorden ist alt geworden. Und in alt gewordenen Orden zeigen sich immer Reformbemühungen. Aufgrund einer solchen kam es im Mittelalter zur Gründung der Zisterzienser. Von den Zisterzienserinnen verlangte man, dass sie in strenger Klausur hinter dicken Klostermauern und Gittern ihr Leben in Kontemplation und Gebet verbringen sollten. Eine solche Einrichtung wurde monasterium genannt.

Klara schwebet aber etwas anderes vor. Es dauerte ein paar Monate, bis sich ihr auch ihre Schwester Caterina, die den Namen Agnes erhielt, und ihre Freundin Pacifica anschlossen. Noch im selben Jahr siedelten sie sich gemeinsam beim Kirchlein San Damiano an. Diesen Ort sollte Klara Zeit ihres Lebens nicht mehr verlassen.

Viele weitere Frauen schlossen sich der Lebensweise der Klara an. Nach dem Tod des Vaters auch ihre Mutter. Bis zu 50 Schwestern lebten gleichzeitig in San Damiano. Aber Klara schaffte es auch, internationale Kontakte aufzubauen, sodass auch andere Frauengemeinschaften ihre Lebensweise annahmen.

Ihr biblischen Leitbild dabei war die Erzählung von Marta und Maria aus dem Lukas-Evangelium.

Als sie weiterzogen, kam er in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn gastlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen zu dienen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.

Sie meinte, in uns allen stecken beide Persönlichkeiten: jene, die auf das Wort Gottes hört, und jene, die dient. Genau diese Auslegung war ihr Leitbild. So eröffnete sie kein monasterium, sonderne in hospicium.

Das bedeutet, dass die Schwestern auf der einen Seite zwar zurückgezogen und im Gebet lebten, zugleich aber auch für alle Besucher offen waren. Dafür gab es spezielle Plätze. So kamen Menschen vorbei für ein Gespräch, aber auch um Heilung zu suchen. Auch Franziskus verbracht dort einige Zeit, als er besonders an seiner Augenkrankheit litt.

Ihre Lebensweise unterschied sich deutlich von der der Brüder: Die Schwestern blieben an einem Ort und zogen nicht herum. Es gab auch kein gemeinsames Leben von Brüdern und Schwestern. Und die Schwestern legten mehr Wert darauf, Gastfreundinnen zu sein, als das Evangelium zu verkünden.

Zur damaligen Zeit gab es Reformgruppen, in denen die Frauen genau all das taten: Sie zogen gemeinsam mit Männern herum und predigten. Das war der Kirche ein Dorn im Auge und oft genug wurden solche Gruppen verketzert und verfolgt.

Aber auch die Lebensweise der Klara war der offiziellen Kirche ein Dorn im Auge: Sie hätte die Frauen lieber wie die Zisterzienserinnen hinter Gittern gesehen. Dagegen wehrte sich Klara erfolgreich ihr ganzes Leben lang.

Aus meiner heutigen Sicht meine ich, dass es weder Franziskus noch Klara um Kirchenreform ging, wie vielen anderen Gruppen. Daher akzeptierten sie grundsätzlich auch die Instanzen und Einrichtungen der Kirche. Sie wollten vielmehr ein glaubwürdiges Leben im Licht des Evangeliums führen. Und dafür waren sie bereit, sich auch gegen die kirchlichen Instanzen und Einrichtungen durchzusetzen.

Gegen Ende ihres Lebens verfasste sie eine eigene Ordenregel, die kirchlich anerkannt wurde. Gleichzeitig entstand von zentraler Stelle aus eine weitere Ordenregel der „Klara“, die sich an der Regel der Zisterzienserinnen orientierte. Letztere gab mehr den Willen der kirchlichen Obrigkeit wieder als den der Klara.

Dies sollte in der Geschichte wichtig werden.

1253 verstirbt Klara. 1257 begann der Umbau der Kirche San Giorgio zur Kirche Santa Chiara und die Errichtung eines Klosters. Klara wurde dort bestattet und ihr Leichnam kann noch heute dort betrachtet werden. 1260 ziehen die Schwestern von San Damiano ins Kloster in die Stadt.

Bild: Kirche Santa Chiara
Kirche und Kloster Santa Chiara

Sie entwickelten sich zum bis heute strengsten Frauenorden der Welt: Kein Kontakt zur Außenwelt und wenn ausnahmsweise doch, dann nur hinter doppelten Gittern. Dies gilt auch für die eigene Familie, die man in den ersten Jahren gar nicht und dann nur einmal jährlich sehen darf.

Das Kloster hat sich von einem hospicium zu einem monasterium gewandelt. Sie sind also der Intention Klaras nicht treu geblieben, sondern folgten der kirchlichen Klarissen-Regel.

Zeitweise folgten mehr Klöster der kirchlichen Regel als der von Klara. Heute allerdings sieht sie Situation anders aus: Viele Klöster sind wieder zur ursprünglichen Lebensweise der Klara zurückgekehrt.

Ein Gebet der Klara:

O selige Armut!
Denen, die sie lieben und umfangen,
gewährt sie ewige Reichtümer!
O heilige Armut!
Wer sie besitzt und sich nach ihr verzehrt,
dem wird von Gott das Himmelreich verheißen
und ohne Zweifel wartet seiner ewiger Ruhm und seliges Leben.
O milde Armut!
Sie hat der Herr Jesus Christus,
der Himmel und Erde regierte und regiert,
der auch sprach und es ward,
vor allem anderen erwählt und an sich gezogen.

(entnommen aus Schneider J. / Zahner P. (Hg.), Klara-Quellen. Die Schriften der heiligen Klara, Zeugnisse zu ihrem Leben und ihrer Wirkungsgeschichte, Kevelaer 2013, 22.)

Das war das Ende meiner Reihe „Nach Assisi lahm gelaufen“.

Dieser Blog macht eine kurze Pause und kommt dann mit einem spannenden Thema wieder. Es geht um entscheidende Lebenswenden.


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