Türen als Ort den Übergangs, als Ort der Entscheidung. Hinaus oder hinein. Wer Türen öffnet, kann hinaus gehen und erfährt Veränderung. Wer Türen öffnet und Menschen herein lässt, erfährt ebenso Veränderung. Das kann gefährlich sein.
Ich zitiere aus dem Buch:
Fuchs Gotthard / Jürgen Werbick, Scheitern und glauben. Vom christlichen Umgang mit Niederlagen, Freigurg/B. 1991.
Hier der erwähnte Podcast zur Stadt:
Transkript
Herzlich Willkommen zur 61. Episode.
Das Loch in der Wand, durch das wir Zimmer, Wohnungen und Häuser verlassen oder betreten, istr nicht die Tür. Türen sind dazu da, diese Löcher zu verschließen, damit diese von niemanden gequert werden können, von dem wir das nicht haben wollen.
Es gibt ja auch Kulturen, die in ihren Häusern gar keine Türen haben. Auch nicht bei der Toilette. Das ist für andere wieder unvorstellbar. Da hätte man zu wenig Privatssphäre. Zur Privatssphäre gehört es eben, dass ich so allein sein kann, dass mich niemand beobachtet.
Nur bei Gott, da meinen einige, dass er seine Augen überall hat und keine Tür oder Wand vor seinem Blick sicher ist. Für jene, die gern wert auf ihre Privatsphäre legen, eine schreckliche Vorstellung. Aber das nur nebenbei.
Auf der anderen Seite gibt es dann bei vielen Institutionen die „Tage der offenen Tür“. Es soll den Menschen gezeigt werden, was hinter den Kulissen vor sich geht. Also öffenen sich die Türen, damit man kommen kann.
Naja, außer vielleicht bei Gefängnissen. Wenn es da solche Tage der offenen Tür gibt, dann zumindest nicht für die Häftlinge. Die sollen ja eher nicht rauskommen.
In der katholischen Welt feiert man ja quasi auch ein Jahr der offenen Tür. Im so genannten Heiligen Jahr, dass in ordentlicher Weise alle 25 Jahre stattfindet, öffnet der Papst die Heilige Pforte. Die Bedeutung dieser Pforte geht auf ein Wort des Johannes-Evangeliums zurück, in dem Jesus sagt:
Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden.
Johannes, Kapitel 10, Vers 9
Aber auch in der digitalen Welt dient die Tür als Bezeichnung für verschiedene Bereiche: So sprechen wir von Online-Portalen oder von Gateways, also Toreinfahrten, oder von „Schlüsseln“, wenn wir über Passwörter oder Token sprechen. Es gibt Firewalls ohne Tür oder es sind darin Backdoors, also Hintertürchen, eingebaut.
Dass die Tür als vielfältige Metapher eingesetzt werden kann, denke ich, liegt auf der Hand. Sie ist zugleich Barriere wie auch Markierung eines Ortes des Übergangs.
Daher möchte ich mich heute eben diesem Thema – der Tür – widmen.
Irgendwie habt auch ihr das Türchen zu diesem Podcast gefunden. Manche schon öfter. Ich bedanke mich bei allen treuen Hörerinnen und Höreren für ihr Zuhören und ihre Rückmeldungen, aber auch für ihre finanzielle Unterstützung via ko-fi oder PayPal. So ersparen wir uns alle lästige Werbung.
Noch eine Vorbemerkung zu diesem Podcast: In wenigen Tagen feiern wir Aschermittwoch. Dieser Podcast steht schon in einer Reihe von anderen Folgen, die in der kommenden Fastenzeit noch kommen werden. Zusammen ergeben die Titel dieser Folgen einen Satz. Heute also: „An der Türschwelle des Lebens …“
Und jetzt geht’s los.
Sicher. Türen gibt es nicht nur in Wänden, sondern auch in Zäunen oder Adventkalendern. Immer stellen sie eine Barriere dar, aber eine durchlässige. Im Gegensatz zur Wand oder zum Zaun. Diese sind undurchlässige Barrieren. Die Tür markiert also einen Ort des Übergangs und zugleich den geregelten Zugang oder Ausgang eines abgegrenzten Bereiches.
Die Tür ist damit prädestiniert, auch in der Bibel als Symbol zu dienen. Ich möchte in dieser Episode aber nicht zu viel über die Bibel sprechen, da ich glaube, ohnehin oft sehr bibellastig zu sein. Ein paar interessante Erzählungen möchte ich aber erwähnen, in denen Türen eine Rolle spielen.
Im Alten Testament sollen die Israeliten in Ägypten ihre Türpfosten mit Blut bestreichen. So weiß der Todesengel, wen er verschonen muss. Das Blut ist hier die Rettung, durch die die Tür undurchdringlich wird. Blut als Essenz des Lebens (Ex 12,7-13)
Auch bei der Arche Noah spielt die Tür eine wichtige Rolle. Die Wassermassen kommen erst, als die Tür geschlossen wird. Die Tür bietet auch hier Schutz und Sicherheit. (Gen 7,16)
Bei dieser Gelegenheit verweise ich auf meine Folge über die Stadt, in der ja auch die Stadtmauern und -tore Schutz und Sicherheit symbolisieren. Link in den Shownotes.
Und in Sodom tritt Lot vor die Tür seinen Hauses, um seine Gäste vor den Angreifern zu schützen. Die Tür ist hier nicht nur Schutz, sondern auch Ort der Entscheidung. (Gen 19,6-11)
So ist das Stadttor im Judentum generell der Ort der Entscheidung. Denn dort wurden die Gerichtsverhandlungen durchgeführt. Zur Debatte stand, ob jemand noch zur Gemeinschaft gehört oder nicht.
Und im Neuen Testament? Ein Zitat, in dem Jesus sich als Tür bezeichnet, habe ich schon gebracht. Diebe und Räuber gehen nicht durch die Tür. Aber die Schafe, jene also, die zu Jesus gehören, die gehen durch diese Tür. (Joh 10,7-9)
Wir kennen aber die Rede von der engen Pforte, durch die man nur mit Anstrengung in das Himmelreich kommt (Mt 7,13f.; Lk 13,24). Viele glauben ja, ins Himmelreich zu kommen, wäre einfach. Jesus sagt etwas anderes.
Dann kennen wir die Erzählungen, dass sich die Jünger:innen nach dem Tod Jesu eingesperrt und die Türen verschlossen haben. Für den auferstandenen Jesus kein Problem. Er braucht keine offene Tür, um zu ihnen zu gelangen. (Joh 20,19-26)
Schließlich gibt es auch die Aussage, dass Jesus vor unserer Tür steht und anklopft. Wer öffnet, mit dem wird Jesus gemeinsam das Mahl zu sich nehmen. (Off 3,20)
Also: Im einen Fall ignoriert er die geschlossene Tür, im andern Fall muss sie geöffnet werden.
Man sieht also, wie unterschiedlich das Bild von der Tür in der Bibel verwendet wird.
Vor fast zehn Jahren habe ich einmal nicht schlecht gestaunt, als das Bild der Tür im ersten Schreiben von P. Franziskus aufgetaucht ist. Ich beziehe mich auf das so genannte nachsynodale Schreiben Evangelii gaudium. Er spricht darin unter anderen von einer Kirche im Aufbruch. Eine solche hat immer offene Türen.
Und was, meint ihr, kommt als nächstes? Ich habe das mit der Erwartung gelesen, dass er sagen möchte, dass die Türen der Kirchen immer offen sein sollen, weil alle Menschen darin Platz haben. Vor keinem soll die Tür geschlossen werden, sondern alle können kommen. In der Kirche wäre dann immer Tag der offenen Tür.
Das würde der Papst sicher auch so sehen, aber er fährt an dieser Stelle anders fort. Der nächste Satz lautet:
Zu den anderen hinauszugehen, um an die menschlichen Randgebiete zu gelangen, bedeutet nicht, richtungs- und sinnlos auf die Welt zuzulaufen.
P. Franziskus, Evangelii Gaudium, 46
Die Türen der Kirche zu öffnen hat den ersten Sinn hinauszugehen. Die Kirchen sind eben keine Gefängnisse, in denen sich die Christen wie Häftlinge selbst einsperren sollen. Vielmehr sollen sie hinausgehen. Und sie sollen ganz hingehen zu den menschlichen Randgebieten.
Das ist die erste Konsequenz, wenn die Kirche die Türen öffnet. Und auch wenn’s der Papst gesagt hat, können damit Christen anderer Konfessionen sicher auch mitgehen.
Erst danach kommt der Papst darauf zu sprechen, dass die offenen Türen natürlich auch meinen, dass alle in die Kirche kommen können. So sagt er etwas später unter anderem:
Doch es gibt noch andere Türen, die ebenfalls nicht geschlossen werden dürfen. Alle können in irgendeiner Weise am kirchlichen Leben teilnehmen, alle können zur Gemeinschaft gehören, und auch die Türen der Sakramente dürften nicht aus irgendeinem beliebigen Grund geschlossen werden. Das gilt vor allem, wenn es sich um jenes Sakrament handelt, das „die Tür“ ist: die Taufe.
P. Franziskus, Evangelii Gaudium, 47
Franziskus hat in seiner Zeit als Papst immer wieder betont, dass in der Kirche Platz für alle sei. Das heißt auch, dass alle durch die Tür der Taufe gehen können.
Aber: Ist es einfach, die Türen zu öffnen?
Vielleicht sollte ich quasi noch einen Hörtipp geben: Wenn hier von der Kirche gesprochen wird, dann geht es natürlich um die Institution und die Teilinstitutionen wie zum Beispiel die Pfarren. Es geht aber auch um uns abseits der Institution: Wie sehr können wir die Türen unseres Lebens öffnen und hinausgehen an den Rand unserer Existenz, um bei jenen zu sein, die am Rand leben?
Mein Hörtipp also: Hören wir diese Aussagen nicht nur in Bezug auf die Institution, sondern auch in Hinblick auf unser Leben.
Unsere Türen zu öffnen, um hinauszugehen, ist oft nicht nur schwer, sondern kann auch gefährlich sein.
Die Theologen Gotthard Fuchs und Jürgen Werbick warnen die Kirche vor den offenen Türen – wobei ich das Wort „warnen“ hier ironisch verstehe. In ihrem Buch „Scheitern und Glauben“ schreiben sie folgendes über die offenen Türen der Kirche:
Dann kommen auch neue Gedanken herein, von denen man in ihr noch nie reden hörte; dann kommen auch Menschen herein, wie man sie in ihren Mauern zuvor noch nie oder höchst selten sah: Gescheiterte, Selbstbewußte, Erfahrene, Fragende, Ungeduldige, Ruhestörer, Propheten, Verrückte und Begeisterte, vermutlich sogar wiederverheiratete Geschiedene und Priester, die sich mit einer Kirche nun endlich aussöhnen wollen, die sie als Verheiratete nicht mehr haben und sehen wollte.
Fuchs/Werbick, Scheitern und Glauben, 135f.
Das schreiben sie 1991, also vor mehr als 30 Jahren. Man kann sich nun selber überlegen, wie weit die katholische, aber auch andere Kirchen dabei gekommen sind.
Kritisch muss also auch der Papst und alle anderen Kirchen angefragt werden: Ja, die Kirche ist offen für alle Menschen. Ist die Kirche aber auch offen für Veränderung, die diese Menschen bringen? Oder will sie nicht vielmehr die Menschen an die Kirche anpassen? Will nicht letztlich die Kirchenleitung ihr Hausrecht in Anspruch nehmen und die Einhaltung der Regeln von jenen einfordern, die da kommen?
Auch wenn der jetzige Papst die Synodalität hochhält, hat sich bisher an der Macht, die Hausregeln zu bestimmen, nichts geändert.
Auch wir müssen damit rechnen: Wenn wir unsere Türen öffnen, um Menschen hereinzulassen, kann uns das verändern. Ob wir wollen oder nicht. Das ist doch auch der Grund, warum wir gern Menschen draußen halten wollen, warum wir die Tür unseres Herzens vor Menschen verschließen. Sie führen uns an unsere eigenen Grenzen, an unsere eigenen Ränder. Und das verändert uns. Wer will das schon?
Aber auch diese beiden Theologen Fuchs und Werbick kennen die offene Tür zum Hinausgehen. Und sie stellen den Leser:innen die Orden als Vorbild hin. Sie schreiben:
Sie [die Ordensleute] gingen freiwillig ‚hinaus‘: hinaus aus der Geborgenheit des Klosters, einer das Alltägliche regelnden und sichernden Lebensform; hinaus vielleicht auch aus dem theologisch gesicherten Umfeld christlicher Existenzweisen. Sie verließen das Gewebe ‚vernünftiger‘ und falscher Rücksichten, um sich den Blick nicht verstellen zu lassen dafür, was draußen vor sich geht und was sich ‚drinnen‘ wirklich abspielt; um nicht mit halbem, sondern mit ganzem Herzen, mit Haut und Haaren dort zu sein, wo keiner sonst freiwillig ist: vor den verschlossenen Türen.
Fuchs/Werbick, Scheitern und Glauben, 134
Gemeint ist, dass sich diese Hinausgeher:innen sich mit jenen solidarisierten, die soweit am Rand stehen, dass sie vor verschlossenen Türen stehen. Jene, die die Klostertüren öffneten, um hinauszugehen, sind hinausgegangen, um vor verschlossenen Türen zu stehen – aber solidarisch mit jenen, denen jede Tür zugeschlagen wurde.
Wenn ich an die Orden denken, komme ich sehr bald zu Franz von Assisi. Er hat sich als Pilger verstanden, der sich nicht in ein Kloster einsperren lassen wollte. Wer sich nicht hinter Mauern einsperrt, braucht auch keine Tür. Er ist immer schon draußen. Dort, wo Franz mit Türen konfrontiert war, ging es darum, dass er zu jemanden hineingeht. Aber auch er hat die Erfahrung verschlossener Türen gemacht.
Manchmal kann man an die Tür klopfen, wie oft man will: Es öffnet niemand.
Leider sperrten sich im Laufe der Zeit die Nachkommen des Franz wieder hinter Klostermauern ein.
Aber bald wird sich die Lage ändern. Die Kirchen müssen in ihrer größer werdenden finanziellen Not immer mehr Gebäude loswerden. Sie haben dann bald keine Türen mehr, die sie öffnen können. Aber sie haben dann auch keine Gebäude mehr, in denen sie sich einsperren können. Sie sind dann – freiwillig oder nicht – draußen.
Sie können nur eines: Sie können dann nur noch die Türen ihrer Herzen öffnen, die womöglich immer noch vor den Menschen, besonders den Armen, Ausgebeuteten und Leidenden verschlossen sind.
Wer sich in Gebäuden verschanzt, tut sich leicht, die Herzen für die da draußen zu öffnen. Wer aber draußen ist, wird erkennen, was das wirklich bedeutet.