Geht es in der Geschichte von Adam und Eva um deren Schuld, als sie vom Baum eine Frucht aßen? So meint es eine lange Auslegungstradition. Wer genau liest, wird jedoch sehen, dass es gar nicht um Schuld geht.
(Text wurde nicht Korretur gelesen, kann also Fehler enthalten.)
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Der Sündenfall
Die Geschichte von Sündenfall kennen wir alle mehr oder weniger: Da waren Adam und Eva, die saßen im Garten und betrachteten den Baum, von dem sie nicht essen sollten. Eva aß von ihm, Adam aß auch und – zack! – habe sie sich schuldig gemacht. So zumindest lesen wir die Geschichte und tragen damit eine Vorverständnis weiter, dass uns im Laufe der Überlieferung brav beigebracht wurde.
Die Schlage darf man zunächst nicht ganz weglassen. Sie ist die verführerische Macht von außen. Hier könnte man sich schon die Fragen stellen: Hätten Adam und Eva etwas gegen diese Macht unternehmen können? Hätten sie sich entscheiden können, das Gebot Gottes einzuhalten? Oder waren sie der Schlange willenlos ausgeliefert? Wie viel Schuld ist ihnen also anrechenbar?
Nur blöd, dass es in dieser Geschichte gar nicht um Schuld geht. Zumindest nicht in erster Linie.
Das Ganze fängt schon bei der Erschaffung des Menschenpaares an. Diese Erzählung endet unvermittelt mit einer überraschenden Bemerkung, die für die Geschichte zunächst gar nicht notwendig ist: „Beide, der Mensch und seine Frau, waren nackt, aber die schämten sich nicht voreinander.“ (Gen 2,25)
Der Leser denkt sich nun „Aha! Ja, und?“ Und die Leserin denkt sich das vielleicht auch.
Es geht aber weiter: Wir wissen, dass die Schlange den Menschen weiß machen wollte, dass sie nach dem Essen der Frucht gut und böse unterscheiden können. Zugegeben: Wer Schuld feststellen will, sollte diese Unterscheidung drauf haben.
Aber das war es gar nicht, was die beiden zuerst erkannt haben. Es steht nicht so etwas in der Art wie: „Sie aßen davon und es gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten, dass die Gottes Gebot übertreten hatten.“ Nein, eben nicht. Es steht da: „Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz.“ (Gen 3,7)
Zuerst kommt die Scham! Die Scham, die auch aus der Bewertung von gut und böse kommt.
Dann lustwandelte Gott durch den Garten. Die beiden hörten ihn und versteckten sich. Warum? Auch hier steht nicht, weil Adam und Eva sich schuldig fühlten. Nein. Adam antwortet auf die Frage Gottes, warum er sich versteckt: „Ich habe deine Schritte gehört im Garten, da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich.“
Geschämt hat er sich. Aber nicht weil er schuldig geworden ist, sondern weil er nackt war. Und die Scham bringt das Verstecken, hinter Feigenblättern und in Gebüschen. Die Abkehr von Gott nicht aufgrund von Schuld, sondern aufgrund von Scham.
Gott realisiert, dass der Mensch vom verbotenen Baum gegessen hat. Und er konfrontiert ihn damit: Adam sagt, Eva habe ihm gegeben; Eva sagt, die Schlage habe sie verführt. Man kann das als Abschieben von Schuld lesen. Was es zweifellos ist. Man kann aber auch sehen, dass hinter diesem Abschieben schon Schuld, die Scham steckt, ertappt worden zu sein.
Gott hält nun eine längere Rede, in der er die Schlange verflucht und den Menschen nicht unbedingt freundliche Dinge ausrichtet. Man kann das als Schuldspruch lesen, man kann es aber auch als Schamspruch lesen: Weil du dich schämst, wird all das passieren!
Und obwohl Gott not very amused über all das ist, steht er weiterhin zum Menschen. Er akzeptiert, dass der Mensch nun ein Sich-Schämender ist und daher heißt es: „Gott, der HERR, machte dem Menschen und seiner Frau Gewänder von Fell und bekleidete sie damit.“ (Gen 3,21) Also, wenn sie sich schon schämen, dann sollen sie wenigstens was ordentliches anhaben.
Hoheslied
Ein kleiner Seitenblick nochmals auf das Hohelied, dass ja als Umkehr dieser Verfehlung interpretiert wurde. Es gibt eine Szene, da will der Mann ins Gemach der Frau eindringen. Sie aber verweist darauf, dass sie sich schon entkleidet habe (Hld 5,3). Der Mann akzeptiert das, während die Wächter der Stadt ihr den Mantel entreißen (Hld 5,7). Im Leben außerhalb des Gartens spielt die Kleidung noch eine wichtige Rolle.
Aber auch innerhalb des Gartens trägt die Frau noch einen Schleier (Hld 6,7). Jedoch muss man auch sehen, wie „schamlos“ in diesem Buch die Frau beschrieben wird: „Wie schön sind deine Füße in den Sandalen, du Fürstentochter! Deiner Hüften Rund ist wie Geschmeide, gefertigt von Künstlerhand. Dein Nabel ist eine runde Schale, Würzwein mangle ihm nicht. Dein Leib ist ein Weizenhügel, mit Lilien umstellt. Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein, Zwillinge einer Gazelle. Dein Hals ist wie ein Turm aus Elfenbein. Deine Augen sind die Teiche zu Heschbon beim Tor von Bat-Rabbim. Deine Nase ist wie der Libanonturm, der gegen Damaskus schaut. Dein Haupt auf dir ist wie der Karmel; wie Purpur sind deine Haare; ein König liegt in den Locken gefangen.“ (Hld 7,2-6)
Und auch über den Mann heißt es: „Mein Geliebter ist weiß und rot, ausgezeichnet vor Tausenden. Sein Haupt ist reines Gold, seine Locken sind Rispen, rabenschwarz. Seine Augen sind wie Tauben an Wasserbächen, gebadet in Milch, sitzend am Wasser. Seine Wangen sind wie Balsambeete, darin Gewürzkräuter sprießen, seine Lippen wie Lilien; sie tropfen von flüssiger Myrrhe. Seine Hände sind Rollen aus Gold, mit Steinen aus Tarschisch besetzt. Sein Leib ist eine Platte aus Elfenbein, mit Saphiren bedeckt. Seine Schenkel sind Säulen aus Marmor, auf Sockel von Feingold gestellt. Seine Gestalt ist wie der Libanon, erlesen wie Zedern. Sein Gaumen ist Süße, alles ist Wonne an ihm.“ (Hld 5,10-16)
Zurückgekehrt in den Garten fällt jede Scham. Nacktheit ist kein Grund mehr, sich zu verstecken.