Karlheinz Six

Assisi von oben bis unten

Bild: Assisi von oben nach unten

Abgesehen von jenen Städten, in denen ich einmal gewohnt oder gearbeitet habe, ist Assisi jene Stadt, in der ich am häufigsten war. Beim zwölften Mal habe ich aufgehört zu zählen und das war vor 20 Jahren. Ich schätze also, dass ich inzwischen mehr als doppelt so oft an diesem Ort war, der weit mehr zu bieten hat als jeder Cluburlaub, der mit haufenweisen Events aufgepimpt wird.
Wer Assisi einmal besucht und dabei nicht nur wie ein Tourist durchläuft, sondern sich ein paar Tage Zeit nimmt, um einfach dort zu sein, wird merken, welche Wirkung diese Stadt auf einen hat. Dabei muss man nicht besonders gläubig oder christlich sein. Jedenfalls ist diese Wirkung schwer in Worte zu fassen.

Wer sich aber wirklich auf Assisi und seine zwei besonderen Heiligen einlässt, der wird eine noch reichhaltigere Spiritualität enddecken, die das Leben prägt und verändert. Über die Heiligen von Assisi möchte ich im siebenten Kapitel mehr erzählen.

An dieser Stelle gehe ich ein bisschen auf die Stadt ein, denn Assisi selbst ist Symbol einer gesellschaftlichen Struktur, einer menschlichen Ordnung, wie sie nicht nur das mittelalterliche Leben, sondern auch unser heutiges Denken prägt.

Darum soll es in diesem Beitrag gehen.

Beim Zugehen auf Assisi vom Bahnhof aus, der in der Ortschaft Santa Maria degli Angeli liegt, sieht man folgendes Bild:

Bild: Anblick von Assisi

Ganz oben befindet sich die Rocca Maggiore (Nummer 1), die große Burg. Dort haben sich schon 2.500 Jahre v. Chr. Menschen aufgehalten. Assisi selbst von den Römern 399 v. Chr. angelegt. Schon bevor in Assisi die beiden Heiligen Franz und Klara bekannt wurde, entstand ein anderer Sohn der Stadt, der als Dichter berühmt wurde. Ich spreche von Properz (Sextus Aurelius Propertius), der um die Zeit von Christi Geburt lebte und ein römischer Elegiendichter war.

Bei ihm kann man nachlesen, dass Assisi anfangs As oder Asis genannt wurde. Der Lateinische Name ist Asisium. Damals war Assisi aber noch wesentlich kleiner. Es fehlte die linke Seite.

Und davon möchte ich jetzt erzählen. Denn wie schon gesagt: Die Anlage der Stadt sagt uns etwas über den Menschen und seine gesellschaftliche Stellung.
Auf der rechten Seite seht ihr die Rocca Minore (Nummer 2). Sie war mit einem Gang in der Stadtmauer, die die ganze Stadt umgab, verbunden. Die Rocce gehörten verschiedenen Besitzern. Man kann sich denken, dass es sich dabei immer um herrschaftliche Personen ging. Links daneben, vom Hügel etwas abwärts sieht man den Kirche San Rufino.

Dort steht seit dem 8. Jahrhundert schon eine Kirche. Im Jahr 1140 – also vier Jahrzehnte bevor Franz von Assisi geboren wurde – wurde mit dem Umbau begonnen. Im Zuge der Heiligsprechung von Franziskus 1228 wurde der Altar geweiht. 1253 wurde dann die ganze Kirche geweiht. Der Umbau erfolgte also über mehrere Jahrzehnte. Dennoch konnte sie in dieser Zeit auch als Gottesdienstraum genutzt werden. Dies wird bei Klara von Assisi noch wichtig.

Bild: Tunikas von Franz und Klara von Assisi

Wer also vor San Rufino steht, befindet sich unterhalb der Rocce. Auf dieser Ebene wohnte der Adel. Auch die Familie von Klara von Assisi, die gleich neben dem Dom lebte.

Geht man dann etwas weiter nach unten, zum Piazza Commune (Nummer 5), kommt man zur Ebene des Bürgertums. In einer Seitengasse hatte die Familie von Franz von Assisi ihre Wohnhäuser und ihr Geschäft. Heute steht dort die Chiesa Nuova (neue Kirche). Am Piazza Commune wurde in der Römerzeit ein Tempel der Minerva errichtet, der später zur Kirche umgewandelt wurde (Santa Maria sopra Minerva).

Deutlich zeigt sich die Anlage der Stadt als Wiederspiegelung gesellschaftlicher Hierarchie. Je höher man gesellschaftlich stand (Adel), desto weiter oben lebte man. Je weiter unten man war, desto niedriger wohnte man.

Das bedeutet nicht nur, dass das Bürgertum weiter unten lebte, sondern auch, dass man die Armen und die Leprösen aus der Stadt verbannte. Sie lebten außerhalb der Stadt am Fuß des Berges. So manifestierte sich die gesellschaftliche Hierarchie im Wohnort.

Zu Lebzeiten von Franz und Klara kam es aber auch zu einer Revolution innerhalb der Stadt. Das Bürgertum, dass wirtschaftlich zunehmend aufstieg, wandte sich gegen den Adel und dessen Herrschaft. Man vertrieb den Adel aus der Stadt und errichtete eine Demokratie. Diese bliebt aber nicht bestehen, sondern der Adel erkämpfte sich nach vielen Jahren seine Rechte wieder zurück.

Mit anderen Worten: Das Milieu des Franz revoltierte gegen das Milieu der Klara. Letztere musste mit ihrer Familie zehn Jahre ins Exil, während für Franz die Grundlage einer erfolgreichen Tuchhändlertätigkeit mit politischem Einfluss gelegt wurde.

Aber ein anderer Ort verdient noch eine besondere Erwähnung. Assisi begrenzte sich auf der linken Seite zur Zeit von Franz und Klara bei der Kirche San Pietro (Nummer 7), einer Kirche mit Kloster, die im 10. Jahrhundert von Benediktinern errichtet wurde.

Eine alte Ansicht dieses Assisi kann man hier ansehen. Aufgrund fehlender Bildrechte kann ich hier nur einen Link anbieten.

Bild: Basilika San Francesco

Das bedeutet, dass alles, was sich links von San Pietro befindet, damals nicht Teil der Stadt war. Also auch die Basilika San Francesco (Nummer 6) nicht. Im Mittelalter war das nämlich der Hinrichtungsort der Stadt. Ausdrücklich wollte Franziskus dort begraben werden. Und eben dieses Grab befindet sich noch heute dort und kann von den Menschen besucht werden.

Das nächste Mal erzähle ich, wie ich wieder losgegangen bin. Aber das bedeutet nicht, dass es ein gutes Ende genommen hat. Der herausfordernste Tag stand noch vor mir.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Aktuelle Podcast-Episode
„aus&aufbrechen“

Bild: Simone Weil: Begehren und Befreien

Simone Weil ist eine bemerkenswerte Mystikerin des 20. Jahrhunderts. Die gebürtige Jüdin wendete sich dem Christentum zu, hatte aber eine universelle Mystik vor Augen. In dieser Episode zeigt sich das

Weiterlesen »

Aktueller Blog-Beitrag
„Was meinst du?“

Gelesene Bücher 2024 - Gute und weniger gute Literatur

In dieser Sonderreihe meines Blogs „Was meinst du?“ stelle ich dir ein paar Bücher, die ich im Jahr 2024 gelesen habe. Kurzer Hinweis Blog und Podcast mache ich in meiner

Weiterlesen »