Wieder habe ich in letzter Zeit ein bisschen an meinem neuen Buch herumgeschrieben. Diesmal geht’s um Sex und wie ich damit zu Gott komme … Ein unkorrigierter Text – also überlest die Fehler einfach. Danke 😉
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Was lest ihr heraus?
Die Brautmystik ist einerseits geprägt vom mystischen Streben nach Vereinigung mit Gott und andererseits einer bestimmten Auslegungstradition des Hohenliedes, einem alttestamentlichem Buch. Daraus ergibt sich eine Vorstellung von Gotteseinung, die entweder erotisch-sexuell beschrieben oder von eben solchen Erlebnisse berichtet wird.
Was meine ich, wenn ich von einer bestimmten Auslegungstradition spreche? Es ist nämlich gar nicht so selbstverständlich, dass man sich auf dieses Buch überhaupt mystisch beziehen kann. Denn es ist eines von zwei Büchern der Bibel, die das Wort „Gott“ nicht enthalten. (Das andere Buch ist Esther.) Darüber hinaus ist es eine lose Sammlung von erotischen Liebes- und Hochzeitsliedern, die abwechselnd von einer Frau und einem Mann gesungen werden. Das wirft die Frage auf, was ein solches Buch überhaupt in der Bibel zu suchen hat.
Das Buch wird dem König Salomo zugeschrieben. Man spricht von Königstravestie. Darunter versteht man, dass es sich bei dem Geliebten nicht wirklich um einen König handelt, sondern dass Hochzeiten als Vereinigung von König und Königin inszeniert werden. In der orthodoxen Kirche hat sich die Krönung der Brautleute bis heute noch erhalten. Salomo jedenfalls steht für Weisheit, Reichtum und Erotik (siehe 1 Kön 10,1-10.14-19; 11,1-3). Und genau das will das Hohelied auch vermitteln.
Es gibt nun eine in der Geschichte sehr dominante Interpretation, die in diesem Buch die Liebe Gottes zu seinem Volk dargestellt sieht. Man bezeichnet ein solches Verstehen als allegorisch, da ja wörtlich bzw. ausdrücklich von einer solchen Liebe nicht die Rede ist. Der Text wird also nicht wörtlich genommen, sondern im übertragenen Sinn verstanden. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum das Buch Eingang in die Bibel gefunden hat. Das Christentum hat hier nochmals eine Veränderung vorgenommen und gemeint, es ginge um die Liebe Christi zur Kirche. Das ist nicht die einzige Möglichkeit dieses Buch zu verstehen; dazu später mehr.
Bis heute ist sich die Bibelwissenschaft nicht einig, inwiefern das „Lied der Lieder“, wie es sich selbst nennt, einem planvollen Aufbau besitzt. Die Sammlung scheint nicht willkürlich zu sein, aber auch nicht streng strukturiert. Einig ist man sich aber, dass der erste Vers des fünften Kapitels das Zentrum des Buches bildet: „Esst, Freunde, trinkt, berauscht euch an der Liebe!“ Erinnert uns das nicht an das Saufgelage bei Platon und an eine eros-hafte Liebe, die berauschend ist und trunken macht? Immer wieder wird die Liebe mit solchen rauschhaften, ekstatischen Zuständen in Verbindung gebracht. Der Theologe Johann Baptist Lotz schreibt. „Zwar ist jeder Eros ein Wahnsinn (manía); aber nicht jeder Wahnsinn ist ‚etwas Schlimmes‘, weil er eine ‚göttliche Gabe‘ sein kann, die uns ‚die besten unserer Güter‘ vermittelt […].“ (Lotz bezieht sich dabei auf den platonischen Dialog „Phaidros“, in dem es auch um den Eros geht.)
Es scheint so zu sein, als ob es im Hohenlied genau um diese berauschende Liebe geht. Dieser Rauschzustand erfasst uns so stark, dass er mit dem Tod vergleichbar ist: „Denn stark wie der Tod ist die Liebe, die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt! Ihre Gluten sind Feuergluten, eine Flamme Jahs.“ (Hld 8,6) Mit Jah ist die Kurzform von JHWH, der alttestamentlichen Gottesbezeichnung gemeint. Die Liebe ist also eine Flamme Gottes. Diese Liebe wird vorgestellt als eine Macht, die der Macht des Todes ebenbürtig ist. Sowenig, wie man sich dem Tod entziehen kann, kann man sich der Liebe entziehen. Wer ihr verfällt, kann sich ihr nur noch ausliefern. Abwehr und Widerstand sind sinnlos.
Dabei spielen die Augen eine besondere Rolle, denn in sie geblickt, wird das Herz des Menschen erfasst, ja, es wird vom anderen geraubt. So sagt der Geliebte: „Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester, liebe Braut, du hast mir das Herz genommen mit einem einzigen Blick deiner Augen, mit einer einzigen Kette an deinem Hals.“ (Hld 4,9) Die Liebenden entscheiden nicht mehr aufgrund einer Wahl, sondern sie werden zum anderen hingerissen. „Die Beraubung des Herzens führt zum Kontrollverlust über dieses Sinnesorgan des Denkens und Fühlens und wird zur Rechtfertigung für sein überschwängliches Reden und intensives Werben, um die Frau.“1 Dieser Kontrollverlust erfährt aber eine positive Bewertung.
Aber nun wird es Zeit, den erotischen Charakter dieser Liebe herauszustreichen. Ich zitiere zwei ausgewählte Textbeispiele, ohne diese weiter zu kommentieren. Sie sprechen für sich.
Der Geliebte sagt über die Geliebte: „Siehe, schön bist du, meine Freundin, siehe, du bist schön. Hinter dem Schleier deine Augen wie Tauben. Dein Haar gleicht einer Herde von Ziegen, die herabzieht von Gileads Bergen. Deine Zähne sind wie eine Herde frisch geschorener Schafe, die aus der Schwemme steigen, die alle Zwillinge haben, der Jungen beraubt ist keines von ihnen. Wie ein purpurrotes Band sind deine Lippen und dein Mund ist reizend. Dem Riss eines Granatapfels gleicht deine Wange hinter deinem Schleier. Wie der Turm Davids ist dein Hals, in Schichten von Steinen erbaut; tausend Schilde hängen daran, lauter Waffen von Helden. Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein, die Zwillinge einer Gazelle, die unter Lilien weiden. […] Alles an dir ist schön, meine Freundin, kein Makel haftet dir an.“ (Hld 4,1-5.7)
Und die Geliebte sagt über ihren Geliebten: „Mein Geliebter ist weiß und rot, ausgezeichnet vor Tausenden. Sein Haupt ist reines Gold, seine Locken sind Rispen, rabenschwarz. Seine Augen sind wie Tauben an Wasserbächen, gebadet in Milch, sitzend am Wasser. Seine Wangen sind wie Balsambeete, darin Gewürzkräuter sprießen, seine Lippen wie Lilien; sie tropfen von flüssiger Myrrhe. Seine Hände sind Rollen aus Gold, mit Steinen aus Tarschisch besetzt. Sein Leib ist eine Platte aus Elfenbein, mit Saphiren bedeckt. Seine Schenkel sind Säulen aus Marmor, auf Sockel von Feingold gestellt. Seine Gestalt ist wie der Libanon, erlesen wie Zedern. Sein Gaumen ist Süße, alles ist Wonne an ihm. Das ist mein Geliebter, ja, das ist mein Freund, ihr Töchter Jerusalems.“ (Hld 5,10-16)
Wer so empfindet, möchte sich auch im Schlafgemach begegnen. Der Geliebte versucht sich dem langsam anzunähern, ruft durch die Tür, er habe sich schon gewaschen und entkleidet, streckt seine Hand durch die Luke der verschlossenen Tür. Da beginnt das Herz der Geliebten zu beben. Heiß begehrt sie ihn und öffnet ihm nach langem Zögern die Tür.
Doch welche Enttäuschung. Der Geliebte ist verschwunden. Vielleicht hat auch er sich schon enttäuscht abgewandt – wegen des langen Wartens. Die Liebe lässt sich also nicht ungestört ausleben. Nicht von ungefähr wird mehrmals gesagt, dass die Liebe nicht gestört werden will (Hld 2,7; 3,5; 8,4). Doch das heiße Begehren treibt die Geliebte an, sich auf die Suche zu machen. Sie verlässt ihren Ort der Sicherheit und geht zur nächtlichen Stunde hinaus in die bedrohliche Welt.
Die Suche nach dem Geliebten ist ein im Hohelied durchgängiges Motiv. Immer wieder wird geschildert, wie sich die Geliebte auf die Suche macht, ihren Geliebten aber nicht findet. Diese Suche nimmt für die Geliebte sogar gefährliche Züge an: Sie wird von den Wächtern der Stadt aufgegriffen. Im einen Fall sind sie antwortlose Statisten, die keine Auskunft geben, wo der Geliebte ist (Hld 3,3). Im anderen Fall schlagen, misshandeln und demütigen sie die Frau (Hld 5,7).
Am Ende finden sich die Geliebten aber im Garten des Königs in Liebe vereint. Daran knüpft dann die andere Auslegungstradition an, über die noch zu sprechen sein wird.
1Fischer, 2022, 9.