Ich gehe weg! Aber vorher mache ich noch einen Podcast. In welcher Lebenssituation war das Weggehen bei dir denn schon mal Thema? Eine Folge über Bleiben, Weggehen und die ungewisse Zukunft.
Diesen Podcast mache ich in meiner Freizeit. Wenn du diese Arbeit auch finanziell anerkennen möchtest, dann kannst du mich über ko-fi auf einen Tee einladen oder direkt über Paypal einen kleinen Betrag senden.
Transkript
Herzlich willkommen zu meiner 40. Episode meines Podcast „aus&aufbrechen“. Dem Podcast für eine offene und kritische christliche Spiritualität. Ich gehe weg. Tschüß!
– Stille –
Ich gebe zu. Es wäre jetzt blöd, einen Podcast damit zu beginnen, indem ich einfach weggehe. Also bleibe ich noch ein bisschen.
Bist du schon einmal irgendwo weggegangen? Blöde Frage. Jeder geht jederzeit irgendwo weg, wenn er geht. Das Weggehen gehört zum Alltag.
Aber dann gibt es ja auch Lebenssituationen, in denen das Weggehen ganz besonders Thema ist. Und genau darum soll es in dieser Episode gehen.
Bevor ich aber weitergehe, mache ich noch schnell auf die Kontaktmöglichkeiten aufmerksam, die du in den Shownotes findest. Gern lese ich deine Nachrichten und Kommentare auf meiner Website. Ich freue mich auch, wenn du meine Podcasts mit anderen teilst. Und besonders danke ich dir, wenn du einen kleinen Obulus in meine Teekasse auf ko-fi legst. Ich mache ja diesen Podcast und meinen Blog „ziellos unterwegs“ in meiner Freizeit und finanziere daher alles privat.
Jetzt geht’s aber weg … äh … ich meine: los.
Ich frage nochmals: Wo in deinem Leben gab es schon besondere Situationen, in denen bei dir das Weggehen Thema war?
Ich habe ja schon mal eine Folge zum Thema „aufbrechen“ gemacht. Genauer gesagt war es die zweite. Wer aufbricht und losgeht, geht ja immer auch von irgendwo weg. Beim Wort „aufbrechen“ hat man eher das Ziel vor Augen, also den Ort, wohin man gehen möchte. Beim „weggehen“ schaut man dagegen eher auf die Situation oder den Ort, wo man gerade ist und den man verlassen soll, muss oder will.
Wenn ich mir so überlege, wo ich schon überall weggegangen bin:
Mit 19 Jahren bin ich von zu Hause ausgezogen. Ich bin weggegangen und ich bin nie wieder dorthin zurückgekommen. Ich meine: bleibend zurückgekommen. Mein altes Zuhause wurde zum Ort des Besuches. Mittlerweile gibt es dieses Zuhause gar nicht mehr.
Einmal gab es eine besondere Situation im Verlauf eines Konfliktes. Dieser zog sich über mehrere Wochen. Der Endpunkt war ein – wie soll ich sagen – einseitiges Gespräch in einem Lokal. Mein Kontrahent hat auf mich eingeredet. Und als er fertig war und wartete, was ich zu sagen hä tte, fragte ich wie viel mein Getränk kostet. Ich habe bezahlt und bin gegangen.
Ich sage nicht, dass das Weggehen immer die Lösung für Konflikte ist. In diesem Fall war es aber so. Ich sah keinen Sinn in dieser konkreten Auseinandersetzung. Nach dem Weggehen kam es noch zu kleinen Sticheleien, die aber bald aufhörten.
Ich bin auch einmal aus einem Verein ausgetreten. Also, ich bin aus mehreren Vereinen ausgetreten. Aber in diesem einen Fall war es durchaus etwas Besonderes. Denn es gab mit der Zeit so gravierende ideologische Differenzen, dass ich einfach nur weggehen konnte. Ich sah mich damals nicht in der Lage, irgendetwas in oder an diesem Verein zu ändern. Ich konnte also nicht bleiben. Ich musste gehen.
Besonders die letzten beiden Erlebnisse machen auf eine wichtige Frage aufmerksam: Wann ist es richtig zu gehen? Und wann soll man bleiben?
Viele Trauernde erzählen zum Beispiel, dass Menschen, oft gute Freunde, sich im Supermarkt verstecken und weggehen, weil sie nicht wissen, wie sie mit der Trauer eines anderen umgehen sollen. Trauernde brauchen aber keine Menschen, die Weggehen, sondern die bleiben. Dasselbe gilt für Menschen in Krisen, in Einsamkeit, in belastenden Situation oder Menschen mit Krankheiten.
Sicher kennt ihr Situationen, in denen wir gern weggehen wollen,
weil wir es kaum aushalten,
weil uns die Situation überfordert oder
weil wir selbst vielleicht Schaden nehmen könnten.
Und doch wissen wir, dass wir bleiben sollen. Wir erfahren den Anspruch, bleiben zu müssen, obwohl wir nicht wollen. Manchmal spüren wir diesen Anspruch sogar körperlich. Weil es jetzt einfach das Richtige ist. Auch wenn ich am liebsten schreiend davonlaufen würde.
Immer wieder stand und stehe ich in meinem Leben vor der Frage: Wie lange bleibst du, sollst du bleiben und wann ist der richtige Zeitpunkt zu gehen? Wie lange kann ich eine Situation aushalten und mich für eine Veränderung einsetzen und wann ist es Zeit zu gehen und einzusehen, dass alles verlorene Liebensmühe ist.
Einen allgemeinen Maßstab dafür habe ich noch nicht gefunden. In jeder Situation muss ich mir eine Antwort abringen. Auf meine Gefühl möchte ich mich dabei nicht verlassen. Denn wie gesagt: Manchmal sind Situationen schwer aushaltbar und das Gefühl sagt: „weggehen“, während der Anspruch sagt: „bleiben“.
Manchmal sehen wir im Weggehen aber gerade die Aufforderung. Also manchmal ist es gerade umgekehrt: Wir wollen bleiben. Aber das Richtige wäre zu gehen.
Als erstes fallen mir da immer Frauen ein, die in ihrer Beziehung Gewalt erfahren. Da sagt doch jeder: „Bitte geh!“ Und die Frauen bleiben oft genug doch oder gehen wieder zurück.
Ein anderes Beispiel ist, wenn jemand unglücklich in seinem Beruf ist. Viele können aus ganz unterschiedlichen Gründen den Job nicht wechseln; sie müssen bleiben. Manche sind aber auch einfach zu wenig mutig. Sie trauen sich einen Wechsel nicht zu.
Schauen wir das Weggehen ein wenig existenziell an: Wie schon gesagt, bedeutet es immer, dass man eine Situation, einen Ort oder Menschen verlässt. Wer das Weggehen zum Thema hat, hat zunächst die Gegenwart oder die Vergangenheit zum Thema. Er oder sie schaut auf das, wovon er oder sie weggeht.
Ob dieses Weggehen etwas Erzwungenes oder etwas Gewünschtes ist, ist nicht ausgemacht. Es kann beides sein. Dementsprechend wird die Trauer über das, was man verlässt, recht unterschiedlich ausfallen. Eines ist aber sicher: Man kann auch trauern, wenn man sich das Weggehen wünscht. Oft wird diese Trauer jedoch nicht anerkannt.
Wenn ich aufgefordert bin, wegzugehen, eröffnet das eine neue Zukunft. Da, wo ich jetzt bin, habe ich keine Zukunft. Daher muss ich weggehen. Erst dieses Weggehen eröffnet Zukunft. Diese Zukunft kann uns deutlich vor Augen liegen oder alles andere als klar sein. Manche können sich zum Weggehen nicht entschließen, weil sie nicht wissen, welche Zukunft auf sie wartet. Diese Unklarheit erzeugt in ihnen das Gefühl von Unsicherheit. Dann bleiben sie lieber da, wo sie sind. Das Gewohnte erscheint dann als das Bessere, obwohl sie wissen, dass sie da keine Zukunft haben.
Mit anderen Worten: Nicht jedes Weggehen ist ein Aufbrechen im Sinn von Hingehen auf ein bestimmtes Ziel.
Gegen die heutigen Coaching-Ansätze, die den Betroffenen einzubläuen versuchen, sie müssen ihre Ziele ganz SMART definieren, meine ich: Es ist vielleicht in manchen Situationen einfach mal wichtig wegzugehen, ohne zu wissen, wohin man geht. Hauptsache man ist mal weg. Oft kann sich erst dann eine neue Zukunft eröffnen.
So bin ich im Oktober des vergangenen Jahres nach Ghana gereist. Ich bin von hier weggegangen und ich bin bewusst weggegangen ohne einen konkreten Plan zu haben. Das einzig konkrete war das Land, in das ich reise. Aber die Dauer meines Aufenthaltes und was ich konkret machen werde, habe ich nicht geplant. In dem Sinn bin ich nur nach Ghana, aber zu keinem klareren Ziel aufgebrochen. Ich wollte einfach einmal das auf mich zukommen lassen, was kommt. Viel zu sehr planen wir … oder versuchen es zumindest.
Denn: Wer ehrlich ist und auf sein Leben zurückschaut, wird zugeben müssen, dass oft nur wenig davon geplant war, was geschehen ist. Warum soll man also das Leben auf Zukunft hin akribisch durchplanen? Eine grobe Richtung ist ja okay, aber ein konkreter Plan, mit Meilensteinen und Zeitlimits? Mein Leben als Projektmanagement?
Ich weiß schon, dass manche auf ihr Leben zurückschauen und meinen, sie hätten nichts zustande gebracht. Sie denken sich, sie hätten einfach einen Plan haben sollen. Aber am Plan liegt es nicht. Es liegt am fehlenden Mut im Leben, einfach Wegzugehen, auch wenn man nicht weiß, wohin man aufbricht.
Das habe ich durch meine Ghana-Reise auf alle Fälle gelernt. Es geschieht, was geschieht. Und vieles davon war freudig und ich bin bereichert worden. Und einiges war traurig und belastend und alles andere als das, was ich mir gewünscht hatte.
Eben wie das Leben so ist.
Wer mehr über meine Ghana-Reise erfahren will, kann gern in meinen Blog „ziellos unterwegs“ auf meiner Website nachlesen.
Ja, und jetzt gehe ich. Bis zum nächsten Mal.