Suizid ist auch ein Thema in der Bibel. Jedoch steht sie ihm nicht immer ablehnend gegenüber. Diese Episode geht auf alle Berichte suizidaler Handlungen und deren Bewertungen in der Bibel ein.
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Transkript
Herzlich Willkommen zur 38. Episode meines Podcasts „aus&aufbrechen“. Die wohl bekannteste Selbsttötung in der Bibel ist die des Apostels Judas, nachdem er Jesus verraten hat. Aber es gibt noch andere Texte, die von Suiziden oder Tötungsbitten erzählen. Davon soll die heutige Episode handeln.
Damit bin ich mitten in einer dreiteiligen Reihe zum Thema Suizid. In der letzten Episode bin ich der Sichtweise der katholischen Kirche, ihrer Kritik und auch der Veränderung der kirchlichen Haltung in der Seelsorge nachgegangen.
Zwei wichtige Ergebnisse möchte ich wiederholen.
1. Die Argumente der Kirche gegen die Erlaubtheit von Suizid sind unzureichend und undifferenziert. Mithin ist keines der offiziellen Argumente hinreichend, den Suizid ethisch zu verbieten.
2. Die Kirche behandelt seelsorglich Suizidenten und ihre Angehörige nicht anders wie alle anderen Verstorbenen. D.h. jede Art der diskriminierenden „Sonderbehandlung“ wie es früher vorkam – also Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses oder Begräbnis an besonderen Orten – sind heute explizit ausgeschlossen.
Interessant ist, dass die Kirche keinen Blick in die Bibel wirft, wenn sie vom Suizid spricht. Vielleicht tut sie das deshalb nicht, weil es in der Bibel kein ausdrückliches Verbot des Suizides gibt. Tatsächlich wurde es auch erst lange nach der Entstehung des Christentums formuliert. Umso interessanter ist es also, wenn wir in dieser Episode genau das machen, nämlich die Darstellung von Suiziden in der Bibel anzusehen.
Bevor es aber losgeht möchte ich dich um folgendes bitten: Wenn du gerade in einer Krise bist und vielleicht sogar an Suizid denkst, überlege dir gut, ob du diese Folge weiterhören möchtest. Heute werden explizite Suizidmethoden geschildert. In den Shownotes findest du Telefonnummern, die dir in Krisenfällen weiterhelfen können.
Wenn du mit mir in Kontakt treten willst, findest du die verschiedenen Möglichkeiten ebenfalls in den Shownotes. Ich freue mich immer über Kommentare zu den einzelnen Episoden auf meiner Webseite. Und natürlich freue ich mich auch, wenn du mir eine kleine Anerkennung in meine Teekasse legst.
Wie also angekündigt, werde ich jetzt einige Todesfälle in der Bibel durchgehen, die zumindest in die Nähe des Suizides gerückt werden können. Im Einzelfall ist das nämlich oft nicht ganz klar, ob man wirklich vom Suizid sprechen kann. Denn es kommen Situationen vor, wo jemand darum bittet, getötet zu werden. Heute würde man in diesem Fall von aktiver Sterbehilfe sprechen.
Wahrscheinlich entstehen bei euch schon Bilder in den Köpfen, wo jemand im Krankenbett liegt und um den Tod bittet. Das ist der Kontext, in dem wir heute darüber sprechen: Leiden durch Krankheit.
Suizide und Sterbehilfe in der Bibel kommen aber in einem ganz anderen Kontext vor, nämlich im militärischen. Zudem spielt auch die Ehre eine besondere Rolle.
Bevor ich euch aber noch länger auf die Folter spanne, gehen wir’s konkret an. Besonders interessant dabei ist, welche Bewertung die Bibel jeweils vornimmt. Die Bibelstellen, auf die ich mich beziehe, findest du auch in den Shownotes.
Abimelech von Sichem (Ri 9,50-56)
Ich spreche von Abimelech von Sichem. Denn es gibt in der Bibel noch einen anderen Abimelech. Zur Zeit unseres Abimelechs herrschten in Isreal die so genannten Richter. Israel war noch keine Monarchie. Abimelech wollte aber eine Monarchie errichten, was letztlich scheiterte. Er wurde zuerst als militärischer Führer anerkannt, worauf er mit einer Söldnertruppe gegen seine Vaterstadt zog und dort seine Brüder tötete. 70 an der Zahl.
Später zog er gegen die Stadt Tebez. Während eines Angriffes zogen sich die Bewohner*innen in die Stadt zurück. Als Abimelech nun vor der Stadtmauer stand, warf eine Frau einen Mühlstein auf ihn und sein Kopf wurde gespalten. Der Tod durch eine Frau gilt jedoch als Schande, sodass er in den letzten Atemzügen liegend seinem Waffenmeister befahl, ihn mit dem Schwert zu töten, was dieser auch tat. Dennoch ging Abimelech als jener ein, der von einer Frau getötet wurde.
Streng genommen können wir nicht von einem Suizid sprechen, weil letztlich der Waffenmeister die tödliche Handlung vollzogen hat. Es war aktive Sterbehilfe auf ausdrücklichen Wunsch Abimelechs.
Deutlich ist auch: Er bittet nicht um Erlösung vom Leiden. Er möchte vielmehr einen ehrenvollen Tod sterben, also nicht durch die Hand einer Frau.
In der Bibel wird dieser Vorgang übrigens folgendermaßen bewertet: Der Tod des Abimelech ist Gottes Strafe für ihn, weil er seine 70 Brüder umgebracht hat.
Simson (Ri 16,28-31)
Simson ist der Held im Kampf der Israeliten gegen die Philister. Von seiner Geburt an hat er seine Haare nicht geschoren. Diese Haare verleihen ihm eine so große Kraft, dass er von niemanden besiegt werden kann. Dies ist allerdings sein Geheimnis.
Er verliebt sich in Delila, die aber mit den Philister ein Geschäft ausgehandelt hat. Sie bekommt Geld, wenn sie Simsons Geheimnis seiner Stärke verrät. Als sie erfährt, dass es seine langen Haare sind, schneidet sie sie ihm ab. Er verliert seine Stärke, wird gefangen genommen und ihm werden beide Augen ausgestochen. Er verbleibt lange Zeit im Gefängnis und seine Haare wachsen wieder nach.
Bei einem Fest der Philister, bei dem 3000 Frauen und Männer anwesend sind, wird Simson geholt, um sich an ihm zu belustigen. Er aber packt die Säulen des Hauses, rüttelt an ihnen, sodass das Haus einstürzt. Alle Menschen sterben, auch er selbst.
Er nahm seinen Tod ausdrücklich in Kauf. Ihm ging es darum Rache zu üben für seine Augen. In der Bibel wird Simson als Held verehrt, weil er so viele Philister getötet hat.
Heute könnte man das durchaus anders bewerten: Zwar befand sich Israel mit den Philistern im Krieg, sodass man den Tod als militärischen Suizid einordnen könnte. Aber es ist eigentlich ein Selbstmordanschlag aus Rache, der viele Zivilisten tötet.
Aber wie gesagt: Die Bibel befürwortet das Vorgehen Simsons.
Saul und sein Waffenträger (1 Sam 31; 1 Chr 10)
Saul gilt als erster König Israels. Die Monarchie hat sich also mittlerweile durchgesetzt. Vom Tod des Saul gibt es zwei Versionen. Die eine ist ein einfacher Schwächeanfall (2 Sam 1,9). Bekannter aber ist sein Suizid.
Wie schon bei den anderen beiden geschieht er im Kontext eines Krieges. Und wieder geht es um die Philister, konkret um die Schlacht im Gebirge von Gilboa. Die Philister setzten den Israeliten hart zu und töteten drei Sohne Sauls. Als dieser in Bedrängnis geriet, bekam er Angst und befahl seinem Waffenträger, ihn zu töten. Der Grund: Er wollte nicht in Gefangenschaft geraten und gefoltert werden. Der Waffenträger aber verweigerte den Befehl, sodass sich Saul selbst in das Schwert stürzte. Als der Waffenträger sah, dass Saul tot war, erstach auch er sich selbst.
Die Philister nahmen den Leichnam Sauls, enthaupteten ihn und schickten seinen Kopf im ganzen Land herum.
Wie schon bei Abimelech wird dieser Suizid des Saul als Strafe Gottes beschrieben: Saul war bei Gott in Ungnade gefallen, weil er treulos war. In seiner Not wandte er sich an die Totengeister und nicht an seinen Gott. So hat Gott diesen Tod beschlossen, um einem anderen, nämlich David, das Königtum zu verleihen.
Ahitofel (2 Sam 16f.)
Auch König David hatte mit Intrigen in seiner eigenen Familie zu kämpfen. Sein eigener Sohn Abschalom wollte ihn vom Thron stürzen.
Nun gab es da auch einen Berater Davids, namens Ahitofel. Sein Rat gilt so viel wie das Wort Gottes, wird gesagt. Dieser verbündete sich aber mit Abschalom. Ahitofel legte Abschalom eine Strategie vor, wie er den Thron an sich reißen könne. Allerdings hörte Abschalom nicht auf ihn, sondern auf einen anderen Berater, der aber ein Spitzel Davids war.
Für Ahitofel war das aber Anlass genug, in seine Heimatstadt zu gehen, zu Hause alles in Ordnung zu bringen und zu regeln und sich dann zu erhängen.
Die Bibel bewertet diesen Suizid nicht ausdrücklich oder gibt ihm eine religiöse Interpretation. Aber da Ahitofel im Grab seines Vaters beerdigt wurde, kann man von einem ehrenvollen Begräbnis ausgehen. Ahitofel starb nicht in Schande, sondern im ehrenvollen Ansehen.
Simri (1 Kön 16,15-28)
Simri führte eine Verschwörung gegen Ela, den König von Israel, durch, tötete ihn und übernahm selbst den Thron. Allerdings nur für sieben Tage. Denn das Volk und das israelitische Heer ließ sich das nicht gefallen. Sie ernannten Omri zum neuen König von Israel und so zog dieser gegen die Stadt Tirza, in der sich Simri aufhielt. Simri zog sich in seinen Palast zurück, den er in suizidaler Absicht anzündete. Was er sich dabei gedacht hat, welche Gründe er selbst dafür hatte, wird nicht gesagt.
Die Bibel stellt seinen Tod wie schon bei Abimelech und Saul als Strafe Gottes für seine Sünden, für die Verschwörung und den Königsmord dar.
Eleasar (1 Makk 6,42-46)
Hier haben wir es wieder mit einer Todesart zu tun, die im Grenzbereich zum Suizid angesiedelt werden kann. Eleasar ist ein Heerführer im Kampf der Makkabäer gegen die Fremdherrschaft der Seleukiden.
In einer Schlacht sieht Eleaser einen Elefanten, der alle anderen überragt und mit königlichem Schmuck bedeckt war. In der Hoffnung, den fremden König töten zu können, kämpfte er sich durch die feindlichen Linien, kam so unter den Elefanten und tötete diesen. Der Elefant sackte zusammen und fiel auf Eleasar, der dadurch den Tod fand.
Nun besteht die Frage, ob Eleaser bewusst ein „Selbstmordkommando“ angetreten ist – wie man so schön sagt – also ob er gewusst hat, dass er diese Aktion nicht überleben wird. Das muss offen bleiben.
Die Bibel verbindet mit seinem Tod aber zwei andere Gedanken: Eleasars Tod wird einerseits als Opfer angesehen; denn es sollte ein Mann sterben zur Rettung des ganzen Volkes. Das kommt uns ja bekannt vor. Andererseits will sich Eleasar mit dieser Aktion ewigen Ruhm verschaffen. Sollte man diesen Tod als Suizid ansehen, dann kann man ihn in die Kategorie eines militärischen Suizides einordnen.
Ptolemäus Makron (2 Makk 10,12f.)
Hier haben wir es mit einem klassischen Ehrensuizid zu tun. Und es ist der einzige, der von einem Nicht-Juden erzählt wird. Wir befinden uns immer noch in der Auseinandersetzung zwischen den Juden und den Seleukiden. Ptolemäus Makron versucht von Seiten der Seleukiden Frieden mit den Juden zu bewirken, galt aber deshalb bei den eigenen Leuten als Verräter.
Um nun einer Verurteilung zuvorzukommen und seine Ehre zu retten, tötete er sich mit Gift. Der Suizid wird in der Bibel nicht ausdrücklich bewertet. Die Textstelle ist aber insgesamt von einer Sprache getragen, die deutlich die Sympathien für Ptolemäus Makron zum Ausdruck bringt.
Rasi (2 Makk 14,41-46)
Wir haben es hier mit der breitesten Schilderung einer Suizidhandlung zu tun, die nichts für schwache Nerven ist. Und wir befinden uns immer noch in der Zeit der Fremdherrschaft der Seleukiden.
Rasi war Mitglied des jüdischen Ältestenrates in Jerusalem und beim Volk sehr beliebt. Dem Seleukiden-General war er ein Dorn im Auge und wollte ihn mit 500 Soldaten überwältigen. Rasi war also in seinem Haus von Soldaten umzingelt. Um seine Ehre zu retten, entschloss er sich, sich das Leben zu nehmen. So konnte man mit ihm keinen Spott mehr treiben, würde er gefangen genommen werden. Es handelt sich also wieder um einen Ehrensuizid.
Aber ganz so einfach ist das nicht. Zum Suizid entschlossen stürzte er sich in sein Schwert. In der Eile traf er sich aber nicht tödlich. Er lief also auf die Mauer seines Hauses und sprang hinunter. Er fiel auf einen leeren Platz mitten in einer Menge von Menschen. Dennoch war er immer noch nicht tot. Blutüberströmt und schwer verletzt stand er auf, lief zu einem steil abfallenden Felsen. Dort riss er sich die Eingeweide aus dem Leib und warf sie auf die Menschen hinunter. So fand er letztlich doch den Tod.
Auch hier gibt es keine ausdrückliche Bewertung des Suizides, dennoch wird wie bei Ahitofel und Ptolemäus Makron sehr wertschätzend erzählt.
Judas Iskariot (Mt 27,5; Apg 1,18)
Wenn man den Tod des Judas Iskariot als Suizid einordnet, dann ist er der einzige, der im Neuen Testament erzählt wird. Ob er als Suizid einzuordnen ist, ist nicht eindeutig belegbar, da das Neue Testament zwei Versionen seines Todes kennt.
Gemäß der Apostelgeschichte, die vom Evangelisten Lukas geschrieben wurde, kaufte sich Judas mit dem Geld, dass er für seinen Verrat bekommen hat, ein Grundstück. Auf ihm kam er zu Sturz, sodass sein Leib zerbarst und seine Eingeweide herausquollen. Der Tod wird als Gottesurteils über Judas dargestellt.
Der Evangelist Matthäus ist derjenige, der von einem Suizid berichtet: Judas gab das Geld für den Verrat zurück und erhängte sich dann. Insofern man die Geldrückgabe als Ausdruck der Reue sehen kann, kann man auch den Suizid als Folge dieser Reue interpretieren. Der Suizid wird trocken und neutral berichtet, aber in keiner Weise gedeutet oder bewertet.
Abschließende Zusammenfassung
Es werden also im Alten Testament neun, im Neuen Testament ein Suizid geschildert. Darüber hinaus gibt es noch Stellen, die von Suizidgedanken sprechen, auf die ich aber nicht weiter eingehen möchte. Suizid wird also in der Bibel immer nur im Kontext von konkreten Situationen zum Thema, niemals an sich reflektiert. Daher hat die Bibel auch keine generelle Haltung zum Suizid. Vielmehr ergeben sich alle Bewertungen, die vorgenommen werden, ausschließlich aus der jeweiligen Situation heraus. Dabei fällt auf, dass manche Suizide als Gottes Strafe für die Suizidenten gedeutet, andere Suizide aber als Heldentaten gefeiert werden. Suizid wird also in der Bibel nicht pauschal verurteilt, aber auch für bestimmte Situationen nicht gefordert. Soll heißen: Der Opfertod – wie zum Beispiel bei Simson oder Eleasar – wird zwar als heldenhaft gesehen, aber nicht gefordert.
Wenn daher der YouCat, also der katholische Katechismus für Jugendliche sagt, dass die Bibel den Suizid verbietet, dann hat er nicht recht. Er kann so nur deshalb argumentieren, weil er es über den Umweg des Mordes macht, also über das Gebot „Du sollst nicht töten bzw. morden“. Die Bibel selbst deklariert den Suizid hingegen nicht als Mord.
Ja, und dann bleibt noch ein Todefalls in der Bibel, der erwähnt werden soll.
Wie ist es eigentlich mit dem Tod Jesu? Eleasar geht in den Tod, damit das ganze Volk durch den Tod eines Menschen gerettet wird. Auch Jesus weiß um seinen bevorstehenden Tod. Auch er hätte flüchten können. Ihm wäre es sogar lieber gewesen, wenn er nicht sterben müsste. Und dennoch hat er sich gegen die Verhaftung, gegen die Verurteilung und gegen die Kreuzigung nicht gewehrt. Wie schon bei den oben geschilderten Todesfällen, ist auch hier der Tod nicht primäres Ziel Jesu. Aber dennoch wird er in Kauf genommen.