Karlheinz Six

Ökologische Ehrfurcht

Titelbild: Ökologische Ehrfurcht

Wer ist in der derzeitigen Situation verantwortlich dafür, den Menschen gemachten Klimawandel nicht zu weit gehen zu lassen? Gern wird die Verantwortung abgeschoben. Nur ich soll nicht verantwortlich sein. Diese Episode argumentiert für die Verantwortlichkeit des Einzelnen und stellt am Ende dem Vulgärutilitarismus eine Ethik der christlichen Tugend entgegen.

Diesen Podcast mache ich in meiner Freizeit. Wenn du diese Arbeit auch finanziell anerkennen möchtest, dann kannst du mich über ko-fi auf einen Tee einladen oder direkt über Paypal einen kleinen Betrag senden.

2 Antworten

  1. Danke für deine Gedanken zum Thema ökologische Ehrfurcht!
    Einen für mich dabei sehr entscheidenden Aspekt möchte ich dir dabei aber auch mitteilen.
    Ökologische Ehrfurcht beinhaltet für mich auch die Ehrfurcht und die große Dankbarkeit für mein / das Leben als fast unbeschreibliches Geschenk an jeden von uns, denn nichts ist selbstverständlich weder unsere Gesundheit, die persönlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten, die Qualität von unseren Beziehungen, …
    Jedes noch so kleiner Aspekt im Leben schenkt mir die Möglichkeit mich selbst wahrzunehmen, mir einer Individualität und Möglichkeiten bewusst zu werden und mich einzubringen bei dem was mir wichtig erscheint, mit zu gestalten und das Anglitz dieser gemeinsamen Welt zu ändern, im Guten wie auch zum schlechten für das gemeinsame Leben.
    Jede noch so kleine Handlung oder auch mein nicht handeln hat Auswirkungen in dieser Welt. Ob ich mein Kind lobe, als Mensch mich dem Töten verweigere, sei es gegenüber einer Pflanze oder gegenüber eines Mitmenschen,… alles hat seine Wirkung.
    Wenn ich Ehrfurcht und Dankbarkeit verspüre und mich das Leben als Geschenk wahrnehme, dann kann ich auch aus purer Lebensfreude aktiv daran teilnehmen. Dann möchte ich von einander lernen, miteinander diskutieren (ein Hoch auf die Demokratie!!) und dann versuche ich bewusst mich auch für das Leben einzusetzen, egal ob morgen „die Welt untergeht“ oder nicht, denn diese meine Welt kann jederzeit untergehen oder sich so verändern, wie ich es mir gar nicht vorstellen vermag. Sei es das ich selbst sterbe (was jedem jederzeit auch widerfahren kann) oder ich erlebe gemeinsam mit meinen Mitmenschen in meinem Lebensraum ein verheerendes Erdbeben, einen nuklearen Störfall in einem der Atomkraftwerke oder wir benutzen zB.: die Atomwaffen unabsichtlich oder absichtlich regional oder gar weltweit. Die Angst lähmt, die Liebe bewegt und die Freuden lässt mich tanzen, egal ob im Rollstuhl (bin selbst ja Querschnittgelähmt) oder krank gefesselt im Bett, mein Geist und meine Seele sind zumindest frei.
    Als Christ, der dankbar das Geschenk des Lebens annimmt, kann ich angstbefreit mich in diesem Leben für die Schöpfung einbringen, es aus vollen Zügen bewusst genießen, wohlwissend das dies Leben auch Schmerz, Mangel, Ungerechtigkeit und Ausbeutung beinhaltet im Kleinen wie auch im Großen und jeder und jedes vergänglich ist. Ich wurde zum Leben eingeladen und übernehme Verantwortung für mein Handeln aus Liebe zum Leben, fordere politisch, wie auch aus meinen Glauben heraus meine Mitmenschen und deren Organisation und Firmen sich dem Leben zu stellen und nicht sich selbst oder jemanden anderen das Leben zu verwehren! Das verstehe ich als ökologische Ehrfurcht, aus Lebensfreude zu handeln, egal wie scheinbar sinnlos oder wirkungslos meine Tat auch sein mag. Im Kern ist es die Liebe und die Freude zu diesem Leben, im Glauben an seine frohe Botschaft.
    Denn wenn auch morgen, die Welt untergeht möchte ich heute noch aus Dankbarkeit für das Leben einen Baum setzen!

    1. Vielen Dank für deine Gedanken.
      Zu den Auswirkungen möchte ich noch etwas sagen: Ich glaube, dass die Idealisten die Auswirkungen ihrer Handlungen überschätzen. Die Handlungen eines einzelnen haben auf das Gesamte gesehen nur geringe Wirkung – sowohl im Positiven wie auch im Negativen. Das ist ja dann auch der Grund, warum viele Menschen klimaschädlich handeln. Sie sagen, dass ihr Handeln keine großen Auswirkungen hat. Und sie haben recht. Erst wenn sich alle Handlungen der Menschen summieren, wird es kimaschädlich – oder eben nicht. Diese Gedanken bringen nur wenige Menschen zum umdenken: „Wieso soll ich anders handeln? Sollen doch die anderen? Vor allem die Reichen, die unsere Umwelt weit mehr schädigen als alle anderen zusammen.“
      Eine Ethik der Schöpfung sieht hingegen nicht auf die Auswirkungen, sondern ist sich dessen eingedenk, dass die Schöpfung nicht unser Eigentum ist. Dieser Gedanke ist für nicht-religiöse Menschen meist nicht anschlussfähig, aber darum ging es mir in dieser Episode auch nicht.
      Und wenn du vom Leben als Geschenk schreibt, dann handelst du vielleicht aus dieser Erfahrung – man könnte sagen, aus der Ehrfurcht vor dem Geschenk des Lebens -, um dieser Erfahrung in deinem Leben gerecht zu werden.

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Transkript

Herzlich Willkommen zur 33. Folge meines Podcasts „aus&aufbrechen“. Es gibt zwei Punkte, die mich an der gegenwärtigen Diskussion um die Klimaerwärmung stören. Der eine ist die konflikthafte Entgegensetzung von uns als einzelne Menschen, Konzernen und Politik. Der andere ist die vulgärutilitaristische Ethik, die von allen Seiten vertreten wird. Auf beide Punkte möchte ich diesmal eingehen.

Wenn ihr euch jetzt fragt, inwiefern hier Spiritualität und Glaube eine Rolle spielen, dann müsst ihr wohl bis zum Ende dran bleiben.

Das erste Thema, dass ich ansprechen möchte, ist die Entgegensetzung von Einzelnen, Konzernen und Politik. Diese drei Akteure schieben sich gegenseitig die Verantwortung im doppelten Wortsinn zu – einmal im Sinne von Schuld und einmal im Sinne von Lösungsverantwortung. Das heißt: Zunächst geht es um die Schuldfrage, also um den Blick in die Vergangenheit: Wer hat das Desaster verursacht? Naja, ich wars nicht. Das waren die anderen.

Und dann geht es darum, wer das Problem lösen soll, also um den Blick in die Zukunft: Natürlich soll der das Problem lösen, der es verursacht hat. Also die anderen.

Aus der Perspektive des Einzelnen gesprochen: Was soll ich schon tun? Ich allein kann die Welt nicht retten. Das müssen schon die Konzerne und die Politik.

Die Konzerne und Politik sehen auch wiederum die jeweils anderen, aber vor allem die einzelnen Menschen in der Verantwortung.

Ich halte dieses gegenseitige Zuschieben von Verantwortung verantwortungslos, weil es letztlich darauf hinausläuft, dass man selbst nichts verändern muss/soll/will/kann. Für mich darf alles so bleiben, wie es ist. Die anderen müssen tun.

Aus meiner Sicht ist das Zusammenspiel dieser Akteure wohl etwas komplexer. Niemand kann sich aus der Verantwortung stehlen. Ja, vor allem wenn sich die Einzelnen – also du und ich – aus der Verantwortung nehmen wollen, haben wir bald einen totalitären Staat oder die Menschheit ist ausgestorben. In ein paar Punkten möchte ich meine Ansicht konkreter machen, dabei spreche ich ganz aus meiner Perspektive als Einzelner, da ich weder einen Konzern leite, noch in der Politik tätig bin.

1. Wenn ich als Einzelner eine Maßnahme ökologisch sinnvoll finde und sie allein leicht umsetzen kann, dann kann ich das ja machen. Klingt zunächst recht banal. Was ich meine: Ich brauche nicht darauf zu warten, bis ein Staat kommt und mir eine sinnvolle Maßnahme als Gesetz vorschreibt.

Ein Beispiel: 100 km/h auf der Autobahn. Ich weiß schon, viele werden das nicht als sinnvoll erachten. Nehmen wir aber mal an, es wäre so. Muss ich dann auf ein Gesetz warten oder kann ich nicht ohne Gesetz auch 100 km/h fahren? Richtig. Ich brauche kein Gesetz dafür.

D. h. ich gehe davon aus, dass es viele Maßnahmen gibt, die ich ohne Gesetz, ohne Staat, ohne Konzerne schon umsetzen kann. Ich habe hier als Einzelner die Verantwortung: Muss ich jeden kleinen Weg mit dem Auto fahren? Nein. Kann ich zu Hause stromsparend leben? Ja. Muss ich viel online bestellen und dann wieder zurückschicken? Nein. Und für all das brauche ich auch kein Gesetz und keinen Konzern.

2. Jetzt andersherum gedacht. Und ich nenne gleich ein Beispiel: In Österreich ist die Mülltrennung vorgeschrieben. D. h. hier gibt es schon gesetzliche Regelungen. Als Einzelner könnte ich nun sagen, dass mir diese Vorschrift egal ist. Ich trenne meinen Müll nicht, sondern werfe alles in den Restmüll. Wenn ich das geschickt mache, kommt niemand drauf, da ich in einer Wohnanlage wohne.

Was ich mit diesem Beispiel sagen möchte: Selbst wenn es gesetzliche Regelungen gibt, ist der Umweltschutz darauf angewiesen, dass ich mich daran halte. Ein Gesetz allein reicht noch nicht. Ich muss mich auch daran halten. In diesem Beispiel hat die Politik ihre Verantwortung übernommen, aber ich als Einzelner habe eine Verantwortung, nämlich im Sinn des Umweltschutzes zu handeln.

Natürlich: Ich gebe zu, dass mir auch einleuchten muss, dass das jeweilige Gesetz eine sinnvolle ökologische Maßnahme ist. Das ist ja auch nicht immer der Fall. Denken wir nur an die Diskussion um die Windräder, die einerseits erneuerbaren Strom liefern, andererseits die Vögelpopulation wesentlich beeinflussen. Oder an die Maßnahme zur Verringerung der Feinstaubbelastung der Meere durch Schiffe, wodurch allerdings die Meerestemperatur wieder steigt.

Aber die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Gesetzen entlässt mich nicht aus der Verantwortung.

Damit bin ich beim 3. Punkt. Zuvor möchte ich aber nochmals festhalten: Egal, ob die Politik sinnvolle Maßnahmen vorschreibt oder nicht, ich werde immer dafür verantwortlich sein, diese Maßnahmen umzusetzen. Das gleiche trifft auch auf die Konzerne zu. Sie müssen 1. nicht auf schlaue Gesetze warten, sondern können selbst schlau sein. Viele sind es auch schon. Und 2. sollen sie nicht herumtricksten, wenn es gesetzliche Regelungen gibt.

Dies alles führt aber regelmäßig zu einer Überforderung des Einzelnen. Ich habe oben schon einige Dilemma-Situation genannt. Aber wir können es noch alltäglicher haben: der Lebensmitteleinkauf. Ist Bio wirklich bio? Welche Inhaltsstoffe sind drin? Wo kommen diese her? Wieviel CO2 wurde produziert? Wie viel Wasser verbraucht? Unter welchen Arbeitsbedingungen wurden sie produziert? Sind die Arbeiter*innen und Produzent*innen angemessen bezahlt worden? Usw.

Wie soll ein Einzelner jemals diese Fragen beantworten – für jedes Produkt, das er kauft. Das ist unmöglich.

Und viele Einzelne sind in noch einer Sache überfordert, nämlich finanziell. Immer noch sind biofaire Produkte teurer als jene, die unter ausbeuterischen und nicht nachhaltigen Bedindungen produziert wurden. Wie soll sich dann jemand „gute“ Produkte leisten können, wenn er das Geld dazu gar nicht hat?

Gegen diese Überforderung der Einzelnen kann wiederum nur die Politik mit entsprechenden Gesetzen angehen. Mit anderen Worten: Die Verantwortung des Einzelnen hat seine Grenzen. Ab dann muss der Staat übernehmen. In der Soziallehre heißt das Subsidiaritätsprinzip. Die begrenzte Verantwortung des Einzelnen bedeutet aber nicht, dass er keine hat. Ein wenig erkundigen kann man sich schon, was man so für ein Zeug kauft, und sich fragen, ob man das wirklich kaufen muss.

Daher gilt auch 4., dass ich als Einzelner in begrenztem Ausmaß sehr wohl die Möglichkeit habe, zu entscheiden, zu welchen Firmen ich mein Geld trage. Solange wir in einer Marktwirtschaft leben, können Konzerne durch das Konsumverhalten gelenkt werden. Umgekehrt geht das doch auch, dass Konzerne das Konsumverhalten der Einzelnen lenken. Ich muss mich dieser Lenkung ja nicht völlig ergeben. Wenn ich es mir leisten kann, dass ich nur biofaire Mode kaufe, dann kann ich das einfach machen. Ich brauche dazu kein Gesetz und ich unterstütze jene Unternehmen, die auch kein Gesetz brauchen, um nachhaltig zu arbeiten.

Wie gesagt: Wenn ich mir das nicht leisten kann, dann sollte wiederum die Politik am Wort sein. Und sie sollte endlich auch bedenken, dass Sozialmaßnahmen immer auch ökologische Maßnahmen sind – und nicht nur umgekehrt.

5. Wie ich in der Wirtschaft als Konsument eingreifen kann, kann ich es als Wähler in die Politik. Es braucht niemanden zu wundern, dass Regierungen keine sinnvollen ökologischen Maßnahmen umsetzen, wenn die entsprechenden Parteien gewählt werden. Das liegt in der Verantwortung des Einzelnen, wen er wählt. Und dieses Wahlrecht kann er weder den Konzernen und schon gar nicht der Politik zuschieben. Das muss jeder höchstpersönlich wahrnehmen. Und was gar nicht geht: Nicht zur Wahl gehen und dann schimpfen, dass die Politik nichts zu stande bringt.

Darüber hinaus kann ich mich je nach meinen persönlichen Ressourcen gesellschaftspolitisch engagieren. D.h. ich kann Initiativen unterstützen und gründen, die ganz unabhängig von den regierenden Parteien Maßnahmen im Umweltschutz fordern. Was ich damit sagen will: Meine politische Verantwortung als Einzelner hört nicht nach der Wahl auf, sondern geht auch danach weiter – je nach den persönlichen Lebensumständen und Ressourcen, die mir zur Verfügung stehen.

Sechster und letzter Punkt: Ich möchte ein Gedankenexperiment wagen:

Machen wir eine Annahme: Der Einzelne hat in Bezug auf den Umweltschutz keinerlei Verantwortung. Dann läge die Verantwortung einerseits bei den Konzernen, die selbst sagen könnten, dass sie keine haben, und bei der Politik. D.h. letztlich liegt sie bei der Politik. Wenn die Politik unter diesen Umständen ökologische Maßnahmen umsetzen will, müsste sie für alles ein Gesetz machen. Sie müsste dann nicht nur Anreize schaffen, sondern Vorschriften machen.

Also zum Beispiel dürfte sie dann nicht mehr den Umstieg auf eine nicht-fossile Heizung fördern, sondern sie vorschreiben. Bis hinein in den Privatbereich müsste die Poltik unser Handeln also bestimmen: wie viel Wasser wir verbrauchen, wie oft wir mit dem Auto fahren, wie oft wir Fleisch essen dürfen, wie viel Strom wir verbrauchen usw.

Sie müsste auch den Unternehmen vorschreiben, welche Energieträger sie verwenden müssen. Ja, sie müsste den Unternehmen vorschreiben, welche Produkte sie produzieren und woher die Bestandteile kommen dürfen.

Die Politik muss dann das alles machen, weil sie ja nicht davon ausgehen kann, dass die Einzelnen von sich aus entsprechende Maßnahmen treffen, weil sie ja keine Verantwortung haben. Der Staat würde sich so zum totalitären Staat entwickeln, der das Leben der Menschen bis ins Private hinein bestimmt. Aber angenommen das wäre so, dann müsste die Bevölkerung dennoch gewillt sein, die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Siehe Punkt 2. Und wenn ich davon nicht ausgehen kann, dann müsste der Staat Gewalt anwenden.

Was ich also mit diesem Gedankenexperiment sagen will: Wenn ich dem Einzelnen alle Verantwortung wegnehmen und der Politik vollständig übergeben würde, würde in Konsequenz ein Staat herauskommen, den zumindest in Europa niemand haben möchte, ein totalitärer Staat. Eine Demokratie lebt aber davon, dass alle Verantwortung tragen – in unterschiedlicher Weise und im unterschiedlichen Ausmaß – und dennoch alle.

Natürlich setzt das alles voraus, dass der Staat gewillt ist, ökologisch zu handeln. Er könnte das auch nicht tun. Die Folge wäre, dass die Menschheit aussterben würde. Damit bin ich bei meinem zweiten Themenkreis: Denn dieser schwebt schon die ganze Zeit leise im Hintergrund. Viele argumentieren nämlich folgendermaßen: Wenn ich als Einzelner mich anders verhalte – also beim Konsum oder beim Wahlverhalten – dann hat das doch keine Auswirkungen. Ich allein kann doch nicht die Welt retten. Daher habe ich auch keine Verantwortung.

Auf diese Aussagen hört man traditionell folgendes Gegenargument: Ja, wenn alle so dächten wie du, dann sind wir eh schon verloren.

Beide Argumente machen haben aber eine gemeinsame Voraussetzung, nämlich den von mir so genannten Vulgärutilitarismus. Was meine ich damit?

Ganz einfach: Mein Handeln hat immer Auswirkungen bzw. Folgen. Sind diese Folgen nützlich ist das super; sind sie schädlich ist das blöd. Es gibt nun in der Philosophie eine Strömung, die sagt, dass die Gutheit oder Schlechtigkeit einer Handlung allein an den Folgen gemessen werden soll. Diese Richtung nennt man Utilitarismus. Das kommt vom Lateinischen utilis, was „nützlich“ heißt.

Ich spreche jetzt aber vom Vulgärutilitarimus, weil der philosophische Utilitarismus etwas komplexer ist, wir aber im öffentlichen Diskurs, von der Politik angefangen bis zum Stammtisch, eine ganz einfache Version dieser philosophien Denke vertreten. Also nochmals: Handlung ist gut, wenn Auswirkungen nützlich; Handlung ist schlecht, wenn Auswirkungen schädlich.

Was bedeutet das für mein Handeln als Einzelner:

Wenn ich auf der Autobahn 130 km/h oder schneller, statt 100 fahre, wenn ich jedes Jahr mit dem Flugzeug in den Urlaub fliege, wenn ich dreimal täglich Fleisch esse, im Sommer eine Klimaanlage aufdrehe und im Winter kräftig meine Ölheizung, dann kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass diese Handlungen der Umwelt keinen Schaden zufügen. Warum nicht?

Wieder ein Gedankenexperiment: Angenommen, ich wäre der einzige Mensch auf der Welt und ich würde genau so leben, ja noch mehr Ressourcen verschleudern – das Klima würde dadurch sich nicht ändern. Als Einzelner hätte mein Handeln gar keine Auswirkungen auf das Klima. Ich schade also dem Klima nicht, also ist meine Handlung ok!

Von daher kommt ja die Ansicht, ich als Einzelner habe keine Verantwortung, weil ich ja gar keinen schädlichen Impact auf die Welt habe.

Was übersehen wir dabei? Zwei Dinge möchte ich da nennen.

1. Die Qualität meiner Handlung bemisst sich nicht nur aus den Folgen, die diese Handlung hat. Vielmehr ist sie eingebettet in einen sozialen Kontext und kann darin ihre Qualität verändern. Wenn ich als einziger Mensch auf der Welt ein Auto besäße und ständig damit herumfahre, hat das eine andere Qualität, als wenn alle Menschen dasselbe tun. Nur meine Handlung herauszulösen aus dem Kontext, in dem sie geschieht, ist aus meiner Sicht eine unzulässige Abstraktion.

Ich möchte zum besseren Verständnis das philosophische Haufenproblem vorstellen: Wenn ich ein Reiskorn auf den Tisch lege, habe ich dort ein Reiskorn liegen. Logisch. Lege ich ein zweites hinzu, habe ich zwei Reiskörner liegen. Soweit kommt ihr noch mit? Ich lege ein drittes und viertes dazu usw. Irgendwann – wann genau kann man wahrscheinlich nicht sagen – kann man von einem Haufen Reis sprechen und nicht mehr von einzelnen Reiskörnern. Also zwei oder drei Reiskörner sind noch kein Haufen, aber vielleicht drei, vier, fünf, zehn, zwanzig. Durch das Hinzufügen, durch die Vergrößerung der Menge, ändert sich plötzlich die Qualität des Ganzen. Damit ändert sich aber auch die Qualität der Teile des Ganzen. Das Reiskorn ist zwar immer noch Reiskorn, aber nun ist es – sobald es den Haufen gibt – auch Teil des Haufens. Das war es zuvor nicht.

Also: Ein Autofahrer ist kein Umweltproblem, zwei auch nicht, drei auch nicht. Aber irgendwann erreicht es einen Punkt, wo das gesamte Autofahren seine umweltverträgliche Qualität verändert hin zu einer klimaschädlichen. Wir sprechen heute dabei immer von Kipppunkten. Ab diesem Zeitpunkt hat auch mein Handeln als Einzelner plötzlich eine neue Qualität: Es trägt zur Umweltschädigung bei.

2. Ich habe ein grundsätzliches Problem mit dem Vulgärutilitarismus. Denn was bedeutet eigentlich „nützlich“ bzw. „schädlich“ sein? Für wen? Wer bestimmt das? Ist das individuell? Bestimmt man das per Volksentscheid? Bestimmen das Politik oder die Unternehmen?

Wir wissen doch, dass das, was für den einen nützlich sein kann, für den anderen der schlimmste Schaden ist. In seiner vulgären Form ist der Utilitarimus willkürlich und individualistisch. So bringt er die Welt und die Menschheit nicht voran.

Ein Beispiel:

Handlung: Wir müssen gegen den Klimawandel etwas unternehmen.

Folge: Wir erhalten unsere Lebensgrundlage und die Menschen können weiter leben.

Der eine mag nun diese Auswirkung für nützlich halten, weil er denkt, die Menschheit soll weiter existieren. Dann würde er gegen die Klimaerwärmung Maßnahmen ergreifen. Die andere könnte aber die Erhaltung des Menschengeschlechts als eine schädliche Folge betrachten, weil der Mensch ein zerstörerisches Wesen ist und es besser für die Welt wäre, wenn dieser Parasit endlich verschwinden würde. Sie müsste dann die Klimaerwärmung ja noch vorantreiben.

Man sieht also, dass das alleinige Schauen auf die Auswirkungen einer Handlung keine sinnvolle Ethik zustande bringt.

Daher möchte ich abschließend nur noch kurz meinen Standpunkt dagegen halten: Was wir brauchen ist keine Ethik der Auswirkungen und Folgen, sondern eine Ethik der Tugenden, eine Ethik der Haltung. Als Christen glauben wir, dass wir nicht die Eigentümer dieser Erde, der Schöpfung sind. Wir dürfen sie besitzen, sie ist aber das Werk eines anderen und gehört ihm auch. Daher haben wir ihr auch mit Ehrfurcht zu begegnen, mit dem Bewusstsein, dass wir Verwalter eines fremden Gutes sind.

Der Hinweis, dass ja in der Bibel steht, dass der Mensch sich die Erde untertan machen soll, zählt nicht. Dieser Satz meint, dass der Mensch die Erde für sich nutzbar machen darf. Aber immer in dem Bewusstsein, dass er nicht der Eigentümer dieser Welt ist. Und das bedeutet, dass die Schöpfung als ganze immer auch einen Eigenwert hat, sodass nichts auf der Erde ausschließlich zum Nutzen der Menschen da ist. Oder anders gesagt: Der Mensch darf die Welt nutzbar machen, soll dabei aber beachten, dass sie einen Eigenwert hat und nicht allein zum Nutzen der Menschen da ist.

Egal, welche Auswirkungen mein individuelles Handeln hat, und egal, ob irgendwann die Menschheit aussterben wird, was in der Entwicklung des Universums sowieso passieren wird, möchte ich dieser Erde, den Geschöpfen auf ihr und auch den Gebilden des Universums mit einer Haltung begegenen, die sie bewahren und nicht zerstören.

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