Bevor es in der nächsten Episode zu einem abschließenden Gespräch kommen wird, möchte ich in der sechsten Folge der Reihe zum Thema Armut ein paar meiner Gedanken vorstellen. Ich spreche über das Mittelmaß an Besitz, über die spirituelle Verankerung und den Untergang der Menschen.
Ich freue mich über deine Fragen und Kommentare, auf die ich gern in der letzten Folge diese Reihe eingehen werden. Alle Nachrichten, die ich bis zum 15. Mai 2023 erhalte, kann ich berücksichtigen.
Verwendete Literatur:
Uwe Habenicht, Leben mit leichtem Gepäck. Eine minimalistische Spiritualität, Würzburg 2018.
Peter Strasser, Journal der letzten Dinge, Frankfurt/M. 1998 (= edition Suhrkamp 2051).
Inhaltliche Zusammenfassung
Herzlich Willkommen zur sechsten Folge der Reihe zum Thema Armut. Dies ist zugleich die 19. Episode dieses Podcasts.
Am Beginn der ersten Folge diese Reihe habe ich gesagt, dass es sich bei der Frage nach der Armut um eine sehr persönliche Frage handelt. In den ersten fünf Folgen habe ich aber eher beschrieben, was mir in der Bibel und der christlichen Tradition wichtig ist.
In dieser Folge möchte ich ein paar meiner eigenen Gedanken vorstellen. Es ist nicht alles, was ich mir denke, sondern eine erste Annäherung. Ich werde über das Mittelmaß an Besitz, über die spirituelle Veränderung und den Untergang der Menschen sprechen. Und am Ende werde ich mich selbst kritisieren.
In der nächsten Episode stelle ich mich dann aber den Fragen und der Kritik anderer. Bis 15. Mai 2023 könnt ihr mir noch eure Kommentare schicken, schriftlich oder als Audio. In der nächsten Episode werde ich mich den Fragen einer Überraschungsgesprächspartnerin stellen. Und eure Nachrichten werden dann auch berücksichtigt. Bis dahin bitte ich aber noch um zwei Wochen Geduld.
Ein paar Gedanken aus dem vergangenen Episoden
Von meiner Jugendzeit her bin ich selbst geprägt von Franz von Assisi und ich wollte damals auch alles verschenken und ohne Besitz leben. Damals war für mich selbst das klösterliche Leben viel zu reich und wohlhabend. Franz von Assisi hatte seine Blick auf Jesus, den er für arm gehalten hat. Es besteht aber die Frage, ob das tatsächlich der Fall war. Schon im Mittelalter hat es eine große Diskussion gegeben, ob Jesus wirklich arm war.
Wenn wir auf die Aussagen Jesu hören, dann sehen wir, dass Besitz an sich nichts Verwerfliches ist. Es ist also nicht gefordert, dass jeder Christ arm leben muss. Nur eines soll ausgeschlossen sein: das Sammeln, das Anhäufen von Besitz; die Habgier, des Immer-mehr-haben-wollens. Zudem müssen wir verstehen, dass Besitz zwar nicht verwerflich ist, aber auch nicht glücklich macht. Darauf wurde in den ersten beiden Folgen eingegangen.
Zugleich gilt aber auch, dass das Fehlen von Besitz nicht nur unser Glück, sondern auch unsere Menschenwürde beeinträchtigt. Da verweise ich auf die UNO: Arme Menschen leiden nicht nur an materieller Armut, sondern auch an der Teilhabe an der Gesellschaft, weil sie sukzessive ausgeschlossen werden.
Beispiele sind leicht zu finden: Denken wir nur an Schüler*innen, die nicht an einer Schulfahrt teilnehmen können, weil sich die Eltern das nicht leisten können. Oder an einen Freundeskreis, aus dem man ausgeschlossen wird, weil man nicht die richtige Kleidung oder das richtige Handy hat. Denken wir aber auch daran, dass armen Menschen die Lobby fehlt, die Einfluss nehmen kann auf politische Entscheidungen. Und denken wir daran, dass Menschen erst als arm qualifiziert werden müssen, damit sie bestimmte Leistungen in Anspruch nehmen können.
Arm bedeutet also, in jeglicher Hinsicht zu wenig zu haben, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Reich sein bedeutet viel mehr zu haben als ein menschenwürdiges Leben bedarf. Ziel wäre als ein bestimmtes Mittelmaß.
Interessanterweise gibt es im Kirchenrecht eine Bestimmung für Diözesanpriester, dass sie ein Leben führen sollen, dass der Mittelschicht entspricht. Also nicht besonders arm und nicht besonders reich. Und was in diesem Zusammenhand für Priester gilt, kann auch für alle Christen gelten.
Mit Blick in die Bibel wird ganz deutlich, sich für die Armen einzusetzen, weil es umfassend darum geht, allen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Oder mit anderen Worten: als ein von Gott gewolltes Subjekt.
Ich habe in mehreren Folgen auf den Unterschied zwischen der Option für die Armen und mit den Armen verweisen. Bei der Option für die Armen sind die Armen das Objekt. Man setzt sich für sie sein. Das ist auch zulässig. Denn wenn den Armen die Teilhabe am politischen Leben verwehrt wird, brauchen sie andere, die sich stellvertretend für sie einsetzen. Andererseits ist es aber auch wichtig, die Option mit den Armen in den Blick zu nehmen, d. h. sie selbst zu ermächtigen, damit sie sich für ihre Anliegen selbst einsetzen können. Ihnen soll gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden.
Die spirituelle Mitte
Das fragt jetzt zurück nach unserer Lebensweise. Ist es richtig, auf keines meiner Privilegien zu verzichten, Besitz anzuhäufen und mich gleichzeitig mit den Armen solidarisch zu zeigen. Fragt sich nicht hier: Was ist den eigentlich ein authentisches christlichen Leben? Kann es authentisch sein, reicher und immer reicher zu werden, und gleichzeitig den Armen etwas zukommen zu lassen?
Hier bedarf es einer spirituellen Verankerung. In der letzten Folge habe ich drei solcher Zugänge vorgestellt: Benedikt von Nursia, der die Jerusalemer Urgemeinde als Vorbild nahm, Franz von Assisi, der ganz in der Nachfolge Christi leben wollte, und Dominikus, der besonders den Sendungs-Gedanken hervorkehrte.
Wir können aber auch noch andere Personen nennen. Z. B. Abraham und Mose. Diese beiden hatten nicht irgendwann einmal ein Lebenskonzept, wie die drei zuvor genannten. Sie haben auf Gott gehört, sind den Worten gefolgt, hatten Schwierigkeiten, mussten wieder zu Gott gehen usw. Sie haben immer wieder im Vertrauen zu Gott gelebt. Dieses Leben war aber nicht irgendwann fertig geplant, sondern beinhaltete immer auch einen Neuaufbruch. Am Ende wussten sie nicht wirklich, was Gott mit ihnen vorhat. Gott hat ihnen etwas versprochen und dem haben sie vertraut.
Und wieder ein anderen Beispiel ist Kohelet. Ihm ging es ganz um die Suche nach dem Glück, sodass er die Erde durchsucht, wo es wohl finden könnte. Und seine Antwort war immer: Das alles in Windhauch und vorübergehend und vergänglich.
Und das haben wir letztlich auch bei Jesus gehört: Wenn du Besitz sammelst, dann vergiss nicht, dass der Besitz und dein Leben vergänglich sind. Wo ist also das Bleibende, dass dir Glück, dass die Sinn gibt, dass dich zum Heil führt.
Wenn wir uns also fragen, welche Lebensweise wir in Bezug auf die Armen und mit den Armen leben wollen, dann müssen wir zuerst fragen, aus welcher spirituellen Mitte wir heraus leben und welche Ort die Armen hier haben.
Der Blick auf die armen Menschen
Ich glaube, wir müssen zwei Seiten in den Blick nehmen, wenn wir die Frage nach dem eigenen Lebensstil stellen. Der eine Blick ist der Blick auf die Armen, der andere ist der auf unsere spirituellen Mitte.
Ich spreche deshalb von der spirituellen Mitte, weil wir uns nicht einfach auf die Lehren Jesu zurückbeziehen können. Jesus kannte keine Globalisierung, keinen Klimawandel und keine technischen Errungenschaften der heutigen Zeit. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Zitat aus dem Buch „Journal der letzten Dinge“ des Philosophen Peter Strasser bringen.
Wir, die Bewohner der wohlhabenden Welt, wissen, daß wir nur überleben können, wenn wir unsere Interessen wahren, das heißt, Millionen und aber Millionen Habenichtse darben zu lassen. Wir werden niemals bereit sein, selbstlos zu teilen und aus freien Stücken arm zu werden, mitzuhungern, mitzusterben. Unsere Hilfe wird die verhungernde Welt vielmehr in zwei Lager teilen: in das Lager derer, die wir auf unser Boot zu holen bereit sind, und in das all der anderen, die wir untergehen lassen.
Peter Strasser, Journal der letzten Dinge
Wenn wir in Europa nur bereit sind, jene aufzunehmen, die für uns nützlich sind, bedeutet das auch implizit, dass wir bereit sind, andere untergehen zu lassen. Das soll natürlich jetzt nicht bedeuten, dass wir in Europa alle armen Menschen aufnehmen müssen. Aber wir sind doch auch nicht bereit, Menschen auf anderen Kontinenten Unterstützung zukommen zu lassen, von der wir nichts haben. Wenn wir helfen, dann wollen wir auch etwas zurück bekommen.
Die Solidarität mit den Armen und für die Armen müsste aber bedeuten: Ich bin bereit, etwas herzugeben, wofür ich nichts zurückbekomme.
Das ist meines Erachtens auch die Spiritualität der Bergpredigt. In der Einleitung spricht Jesus von einer höheren Gerechtigkeit. Damit ist keine Gerechtigkeit gemeint, die auf Ausgleich abzielt. Wenn ich die Bergpredigt durchlese, dann komme ich darauf, dass ich mehr gebe, als ich zurückbekomme. Es gilt das Ungleichgewicht auszugleichen, das andere verursacht haben.
Minimalistische Spiritualität und Lebensstil
Ich möchte noch ein modernes Beispiel eines Lebensstil nennen, dass sich aus einer spirituellen Mitte heraus gestaltet. Es wird vorgestellt von dem evangelischen Theologen Uwe Habenicht in seinem Buch „Leben mit leichtem Gepäck“. Als spirituelle Bezugspunkte nennt er den Hl. Antonius von Ägypten, den ersten Wüstenmönch, und Martin Luther. Er nimmt in diesem Buch aber auch Bezug auf den Soziologen Hartmut Rosa und greift den Begriff der Resonanz auf.
Resonanz ist sowohl ein Grundbedürfnis, wie auch eine Grundfähigkeit. Es meint, dass wir mit der Welt in Resonanz kommen wollen, sich von der Welt berühren zu lassen und die Welt gestalten. Habenicht möchte diese Resoanz-Erfahrung noch die vertikale Dimension, d. h. die Beziehung zu Gott, hinzufügen. Dies bildet den Kern seiner minimalistischen Spiritualität.
Diese setzt an beim Einzelnen. Sie setzt bei der Frage an, was der Einzelne wirklich braucht. Besser gesagt: Der*die Einzelne fragt sich selbst, was er*sie wirklich braucht. Er*sie ist bereit sich zu reduzieren auf das, was wirklich gebraucht wird.
Ich kann an dieser Stelle nicht ausführlich auf das Buch eingehen. Hier besteht aber genau der Knackpunkt. Denn was brauche ich wirklich? Da mag wohl einer sagen: „Den SUV brauche ich wirklich.“, der andere: „Nein, den SUV brauche ich nicht.“ Da mag die andere sagen: „Die Flugreise nach Mallorca brauche ich jetzt wirklich.“, die andere: „Nein, Urlaub in Österreich tut’s auch.“
Ich möchte noch eine andere Thematik anschneiden, weil sie mich persönlich betrifft. Wir haben schon gesagt, dass Armut meist etwas Materielles meint. Heute wird der Begriff noch anders verwendet: Wir sprechen von Informationsarmut, Menstruationsarmut oder Zeitarmut. Es ist durchaus kritisch zu hinterfragen, ob die Ausweitung des Armutsbegriffes sinnvoll ist und Armut so nicht verwässert wird. Lassen wir das aber einmal beiseite.
Wie steht es mit den psychisch belasteten Menschen? Sie sind vielleicht nicht materiell arm. Aber es ist eine Personengruppe, mit der ich sehr viel zu tun habe. Psychisch belastete Menschen werden oft ausgegrenzt, weil sie schwierig sind, weil sie nicht einfach zu handhaben sind. Sie haben oft ein unangepasstes, ein delinquentes Verhalten. Sie leben mitten unter uns und bleiben doch am Rand der Gesellschaft. Wenn ich in meinem Leben sehr viel mit diesen Menschen zu tun habe, wie soll dann mein Leben aussehen? Wenn ich zu ihnen gesandt bin, wozu bin ich eigentlich gesandt und was wäre mein adäquater Lebensstil?
Diese Frage kann jetzt noch ausgeweitet werden: Wie kann ich authentisch christlich leben, wenn ich mit gefangenen Verbrecher*innen oder mit Kranken und Sterbenden zu tun habe?
Abschluss
Das sollen ein paar Gedanken, bevor es in der nächsten Episode zu einem ausführlichen Gespräch kommt. Einen Gedanken möchte ich aber noch vorbringen, nämlichen einen kritischen Gedanken mir selbst gegenüber. Wer sich diese Episode ganz genau angehört hat, wird gemerkt haben, dass ich eine Verschiebung einer Frage vorgenommen habe: Ich habe von einer spirituellen Mitte gesprochen, aus der heraus gelebt werden soll. Schauen wir auf die oben genannten Protagonisten, so ist deren spirituelle Mitte immer von Jesus, von Gott, von der Bibel usw. geprägt. Sie war interessanterweise weniger oder gar nicht davon geprägt, mit welchen Menschen man es zu tun hat.
Ich hingegen habe in dieser Episode vor allem die Frage gestellt, wie ein authentisches Leben aussieht, wenn ich mit bestimmten Personengruppen zu tun habe. Mein Blick war also nicht zuerst auf die Bibel oder Gott ausgerichtet, sondern auf die armen Menschen und wie mein Leben von ihnen her kritisch in Frage gestellt wird. Diese Frage lasse ich so stehen und greife sie vielleicht in der nächsten Episode auf.