Karlheinz Six

Armut – Teil 4: Arme Kirche der Armen

Titelbild: Armut - Teil 4 - Arme Kirche der Armen

Eine arme Kirche für die Armen wünscht sich Papst Franziskus. Ist es das, was von der Kirche gefordert ist? In der vierten Folge der Reihe zum Thema Armut widme ich mich diesem Thema: Angesichts der Botschaft Jesus, die er vor allem den Armen verkündet, besteht die Frage, was das für die Kirche bedeutet, die ja dieselbe Botschaft verkündet.

Ich freue mich über deine Fragen und Kommentare, auf die ich gern in der letzten Folge diese Reihe eingehen werden. Alle Nachrichten, die ich bis zum 15. Mai 2023 erhalte, kann ich berücksichtigen.

Verwendete Bibelstellen:

Amos 5

 

Verwendete Literatur:

Neuhold L. / Neureiter L. (Hg.), Muss arm sein? Armut als Ärgernis und Herausforderung, Innsbruck 2008 (= Theologie im kulturellen Dialog 15)

P. Franzikus, Evangelii Gaudium (Nachsynodales Schreiben)

 

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Inhaltliche Zusammenfassung

Herzlich Willkommen zur vierten Folge der Reihe zum Thema Armut. Dies ist zugleich die 17. Episode dieses Podcasts.

Wenn Jesus dem Besitz bzw. dem Sammeln von Besitz sehr kritisch gegenübersteht, stellt sich schon auch die Frage: Was bedeutet das für die Kirche? Hat sie nicht im Laufe von zwei Jahrtausenden sehr viel Besitz angehäuft? Wie soll den eigentlich Kirche gestaltet sein, wenn Jesus so sehr die Armen in den Mittelpunkt seiner Verkündigung stellt? Und was bedeutet das für die Mitte des kirchlichen Lebens, nämlich den Gottesdienst? Diesen Fragen möchte ich heute nachgehen.

Bevor es richtig losgeht, noch kurz etwas Organisatorisches: Du kannst mir gern Fragen und Kommentare schicken, schriftlich oder als Audio. Alle Nachrichten, die ich bis zum 15. Mai 2023 erhalte, werde ich in der letzten Folge berücksichtigen. Denn in der siebenten Folge dieser Reihe werde ich mich den Fragen einer Überraschungsgesprächspartnerin stellen.

Die Kirche

Ich komme also zunächst auf die Kirche zu sprechen. Wenn ich dieses Wort Kirche verwende, dann muss ich zu vor erklären, was ich damit meine. Kirche ist nicht nur die Institution, sondern auch jede kirchliche Gemeinschaft, wie eine Pfarre oder eine andere Gemeinschaft. Es meint aber auch jeden einzelnen Christen. Wenn ich also von Kirche spreche, spreche ich von all diesen Ebenen.

An den Anfang möchte ich ein Zitate des ehemaligen Grazer Pastoraltheologen Rainer Bucher stellen:

So gesehen zeigt sich, dass es keine Kirche Jesu ohne Diakonie gibt, zumindest wenn man darunter die tätige Option der Kirche für die Armen und Leidenden versteht. Eine Kirche jedenfalls, die nur von der Liebe Gottes redet, ansonsten aber nichts für diese Liebe tut, kann sich nicht auf Jesus berufen. Es macht die Kirche aus, dass es ihr nicht zuerst um sich, ja nicht einmal zu erst um Religion im klassischen Sinne geht. Besser: so um Religion geht, dass es nicht nur um Religion geht. Es macht gerade eine Kirche, die der christlichen Botschaft verpflichtet ist, aus, dass es in ihr um eine Religion geht, der es zuerst nicht um sich, sondern um das Heil aller geht.

In ähnlicher Art und Weise schreibt auch Papst Franziskus in seinem nachsynodalen Schreiben Evangelii gaudium:

Es ist unerlässlich, neuen Formen von Armut und Hinfälligkeit – den Obdachlosen, den Drogenabhängigen, den Flüchtlingen, den eingeborenen Bevölkerungen, den immer mehr vereinsamten und verlassenen alten Menschen usw. – unsere Aufmerksamkeit zu widmen. Wir sind berufen, in ihnen den leidenden Christus zu erkennen und ihm nahe zu sein, auch wenn uns das augenscheinlich keine greifbaren und unmittelbaren Vorteile bringt.

Die Kirche soll durchdrungen sein von der Option für die Armen. D. h. im Handeln der Kirche, aber auch im Handeln jedes*jeder einzelnen Christ*in haben die Armen den Vorrang. Bevor wir handeln müssen wir also fragen, wie wirkt sich dieses Handeln auf die Armen aus. Außerdem soll der*die Christ*in diese Option nicht aus Eigeninteresse wählen. Der Kirche darf es dabei nicht um sich selbst gehen, um ihren Machterhalt, um ihren Einfluss in der Gesellschaft. Auch der*die Christ*in darf in seinem Handeln seinen Vorteil suchen. In der Option für die Armen hat die Kirche auch Nachteile in Kauf zu nehmen.

Papst Franziskus sieht diese Ausrichtung auf die Armen fundiert in Jesus Christus selbst. Er ist nämlich selbst arm gewesen und hat arm gelebt.

Im Herzen Gottes gibt es einen so bevorzugten Platz für die Armen, dass er selbst »arm wurde« (2 Kor 8,9). Der ganze Weg unserer Erlösung ist von den Armen geprägt. Dieses Heil ist zu uns gekommen durch das „Ja“ eines demütigen Mädchens aus einem kleinen, abgelegenen Dorf am Rande eines großen Imperiums. Der Retter ist in einer Krippe geboren, inmitten von Tieren, wie es bei den Kindern der Ärmsten geschah; zu seiner Darstellung im Tempel wurden zwei Turteltauben dargebracht, das Opfer derer, die sich nicht erlauben konnten, ein Lamm zu bezahlen (vgl. Lk 2,24; Lev 5,7); er ist in einem Haus einfacher Handwerker aufgewachsen und hat sich sein Brot mit seiner Hände Arbeit verdient. Als er mit der Verkündigung des Gottesreichs begann, folgten ihm Scharen von Entrechteten, und so zeigte sich, was er selbst gesagt hatte: » Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe« (Lk 4,18).

Papst Franziskus sieht es also sehr ähnlich wie Franz von Assisi, auf den ich in der nächsten Episode zu sprechen kommen werde.

Jesus Christus hat von Beginn an in Armut gelebt. Er hat die Lebensweise derjenigen anzunehmen, zu denen er gesandt wurde. Er ist gekommen, den Armen die frohe Botschaft zu verkünden.

Und dann folgt im Schreiben des Papstes ein entscheidender Satz:

Aus diesem Grund wünsche ich mir eine arme Kirche für die Armen.

Was soll das eigentlich bedeuten? Was versteht er unter einer „armen“ Kirche? Viele halten die Kirche ohnehin für viel zu reich. Andere, vor allem hauptamtliche Kirchenmitarbeiter*innen, sehen viele finanzielle Probleme, die sich immer öfter auftun. Aber von einer armen Kirche sind wir dennoch weit entfernt.

Oder meint der Papst so etwas wie eine spirituelle Armut? Wir wissen es nicht, und so muss das offen bleiben.

Aber abgesehen von der armen Kirchen besteht noch die Frage, wie sehr die Kirche die Option für die Armen lebt. Wenn wir das desaströse Bild der europäischen Kirche ansehen, dass sie in Hinblick auf sexualisierte Gewalt abgibt, dann merken wir nichts von der Option für die Armen, dafür sehr viel Eigeninteresse und Macherhalt.

Sicherlich kann man ähnliche Machtmechanismen auch auf anderen Kontinenten finden. Gleichzeitig: Bei all dem niederträchtigen Umgang mit den Schwächsten, kann man innerhalb der Kirche viele Christ*innen und kirchliche Einrichtungen finden, die bereit sind, ihr eigenes Leben für die Option für die Armen einzusetzen und unter lebensbedrohlichen Bedingungen zu riskieren. Realistisch betrachtet ist unsere Kirche eine Vereinigung von Menschen, die sich für anderer hingeben und ihr Leben einsetzen, und solchen, die nur um ihre Eigeninteressen und ihren Machterhalt interessiert sind, und allen anderen, die irgendwo dazwischen sind.

Nicht unerwähnt möchte ich einen Hinweis des Sozialethikers Leopold Neuhold lassen. Er spricht zwar auch von der Option für die Armen, streicht dann aber heraus, dass es eigentlich eine Option mit den Armen sein soll.

Was meint er: Eine Option für die Armen ist immer aus einer privilegierten Stellung heraus formuliert. Hier wird immer aus der Perspektive einer privilegierten Gruppe gesprochen. Die Armen werden zum Objekt meines Handelns.

In der Option mit den Armen liegt eine andere Perspektive. Die Armen sind dann nicht Objekt des Handelns, sondern Subjekt ihres eigenen Handelns und Lebens. Ein Beispiel: Wenn in der Kirche Fälle sexualisierter Gewalt aufgearbeitet werden, ohne Einbindung der Opfer, sind sie lediglich Objekte der Aufarbeitung. Werde sie aber gehört und in diesen Aufarbeitungsprozess ernsthaft eingebunden, kommen sie selbst zu Wort und werden als freie Subjekte ihre eigenen Lebens ernst genommen.

Der Gottesdienst

Wenn wir also der bisher gelegten Spur etwas weiter folgen, wenn wir aus der Art und Weise wie Jesus gelebt hat, Schlüsse für unser Handeln ziehen, müsste das nicht auch für die Gottesdienste gelten. Wenn die Gottesdienste das entscheidende Zentrum des christlichen Lebens sind, sollte man dann nicht auch hier die Armen in den Mittelpunkt stellen.

Schaut man in die heutigen Gottesdienste, muss man feststellen, dass die Umsetzung der Option für die Armen mit der Lupe zu suchen sind. Sicher: Da hört man die eine oder andere Fürbitte oder es wird für Sozialprojekte Geld gesammelt. Was viele nicht wissen: Das Geld, das regelmäßig gesammelt wird, hat immer den Zweck, die Armen zu unterstützen.

Abgesehen davon scheinen wir im Gottesdienst die Armen vergessen zu haben. Das war einmal anders. Kamen Christen in den ersten Jahrhunderten zusammen, wurde ein gemeinsames Mahl gefeiert, an dem alle satt wurden und wo auch Gottesdienst gefeiert wurde. Das Mahl, das alle gesättigt hat, und das rituelle Mahl, an dem wir Gottesdienstfeiern und Gebete sprechen, war eine Einheit. In der ersten Christenheit gab es keine Unterschiede. Und so durften auch keine Armen in der Gemeinde leben, sondern alle sollten satt werden.

Schon im Alten Testament wird betont, dass Gott nur einen Gottesdienst anerkennen kann, wenn im ganzen Volk Gerechtigkeit herrscht. Also Gerechtigkeit über den Gottesdienst hinaus. Einen Gottesdienst, der von Menschen gefeiert wird, die im Leben immer ungerecht sind, den kann Gott nicht akzeptieren. Viele Propheten haben das zu Wort gebracht; einen möchte ich zitieren; nämlich den Propheten Amos.

Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen. Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, ich habe kein Gefallen an euren Gaben und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen. Weg mit dem Lärm deiner Lieder! Dein Harfenspiel will ich nicht hören, sondern das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Gott findet hier also durch den Propheten Amos, sehr deutliche Worte. Er will diese Gottesdienste nicht aushalten, wenn er zugleich weiß, dass die Menschen, die hier Gottesdienst feiern, in ihrem Leben ungerecht handeln und nicht die Armen und Ausgebeuteten in den Blick nehmen. So brauchen wir gar nicht Gottesdienst feiern.

Zur Trennung von rituellem Mahl und Sättigungsmahl kam es wahrscheinlich dadurch, dass die Christenheit immer größer wurde. Dann wurde es organisatorisch schwieriger, Sättigungsmähler zu organisieren. Auch die steigernde Sakralisierung des Kirchenraumes trug dazu bei. Man feierte nicht mehr in Privathäusern, sondern in eigenen Gebäuden. Diese sollten zunehmend nur noch für gottesdienstliche Zwecke da sein. Diese führte dazu, dass im 7. Jahrhundert das Konzil von Konstantinopel Sättigungsmähler im Kirchenraum verboten hat. So wurde also die Trennung von rituellem Mahl und Sättigungsmahl einzementiert.

Was man sich auch gute vorstellen kann, dass auf dem Weg dahin, die Christen immer mehr zu einer Gemeinschaft mit sozialen Unterschieden geworden ist. Wir erinnern uns noch an die Jerusalemer Urgemeinde, die keine sozialen Unterschiede kannte.

Um die Armenfürsorge im Gottesdienst aufrecht zu erhalten, wurde die so genannte Kollekte immer wichtiger. Dies meint das Einsammeln von Geld und Naturalien. Für das Gesammelte war der Diakon zuständig. Er war der Verwalter des Vermögens, das klar für die Option für die Armen zu verwenden ist.

Heute scheint es angebracht zu sein, dass diese Option im Gottesdienst wieder mehr zum Tragen kommt. Insbesondere, wenn die Kirche arm für die Armen sein will.

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