Welche Bedeutung hat der Kreuzestod Jesus? Heute am Karfreitag eine berechtigte Frage. Christlich gesehen gibt es viele Deutungen. In dieser Episode versuche ich deutlich zu machen, was der Tod Jesu für mich bedeutet und warum mir der Karfreitag wichtiger ist als die Osternacht.
Transkript
Herzlich Willkommen zur neuen, zur dreizehnten Episode meines Podcasts „aus&aufbrechen“. Dem 14-Tages-Rhythmus meiner Podcasts folgend passt es ganz gut zusammen, dass gerade heute Karfreitag ist, der Tag, an dem wir den Tod Jesu feiern. Nicht nur das: Obwohl ich katholisch bin und für die katholische Kirche die Osternacht den Höhepunkt der Ostertage einnimmt, hat der Karfreitag für mich persönlich ein größere Bedeutung. Vielleicht bin ich in dieser Hinsicht mehr evangelisch. Nun: In dieser Episode, die nicht bloß an der Oberfläche kratzen wird, geht es um Themen wie das qualvolle Sterben und einen toten Gott. Themen, die wir ansonsten gern vermeiden. Also bitte hört diese Episode nicht weiter! Sie könnte zur Verstimmung führen.
Wenn du aber nun doch dran bleibt, möchte ich daraufhinweisen, dass ich mich sehr über jeden Kommentar und jede Nachricht von euch freue. In den Shownotes habe ich alle Kontaktmöglichkeiten angeführt. Auch den Link zu meinem Buch findest du dort, in dem ich noch mehr zu diesem Thema sage. Ihr könnt mir gern auf Instagram oder auf Facebook folgen. Oder ihr abonniert diesen Podcast oder meinen YouTube-Kanal. Auf meiner Homepage könnt ihr euch gern für meinen Newsletter eintragen. Besonders freue ich mich, wenn ihr euren Freunden von diesem Podcast erzählt und Inhalte teilt. –
Heute geht es also um den Tod Jesu am Kreuz. Das, was das Kreuz bedeutet, wird in der allgemeinen Verkündigung mit so vielen Begriffen versehen, die zwar ihren theologischen Sinn haben, deren existenzielle Bedeutung aber nicht verstanden wird. Ja, mir scheint, dass selbst die Seelsorger*innen oft nicht genau verstanden haben, worum es beim Tod Jesu geht und dass sie sich dann lieber in religiöse Allgemeinplätze flüchten. Zurück bleiben Gläubige, die ein Zentralmoment unseren Glaubens nicht erfassen können.
Ich möchte diese oberflächliche Auffassung vom Tod Jesu einmal so zusammenfassen: Jesus ist tot – eigentlich spielt es dabei keine entscheidende Rolle, wie und unter welchen Umständen er gestorben ist. Verrat, Auslieferung, Verleumndung, Kreuz usw. – das sind alles Elemente einer Geschichte, die selbst aber keine Relevanz für die Bedeutung des Todes haben. Sie tragen nichts zum Verständnis bei. Einzig das Totsein Jesu wird bedauert.
Wir wollen aber nicht, dass jemand tot ist. Und so meinen wir, sei es der größte Sieg, die eindruckvollste Tat Gottes, dass er diesen toten Jesus zum Leben auferweckt und danach das Grab leer ist. Gott zeigt also an Jesus einfach vor, dass er jeden Menschen zum Leben auferwecken kann und dass der Tod keine Macht hat.
So verstanden hat ja dann auch das Totsein Jesu nur eine untergeordnete Funktion. Es dient lediglich zu Demonstrationszwecken. Das alles hätte Gott auch anders zeigen können: Zum Beispiel wenn Jesus eines natürlichen Todes gestorben wäre. Oder er hätte es an jedem beliebigen Menschen zeigen können. Dazu braucht man keinen Sohn Gottes.
Für mich geht diese Sichtweise völlig an der eigentlichen Bedeutung des Todes Jesu vorbei.
Überlegt einmal selbst, welche Bedeutung ihr dem Tod Jesu am Kreuz gebt?
Nun könnte man zunächst fragen, ob der Tod Jesu überhaupt eine Deutung, ein bestimmtes Verständnis braucht. Diese Frage führt jedoch in die irre, denn sie meint, dass es so genannte nackte Tatsachen zum Tod Jesu gibt, die dann gedeutet werden müssten. Demgegenüber steht, dass der Tod jedes Menschen immer schon gedeutet wird, ja, dass selbst die Rede von einer „nackten Tatsache“ schon eine Deutung ist.
Es ist also nicht die Frage, ob wir deuten, sondern wie wir deuten. So gibt es sicherlich christliche und nicht-christliche Deutungen. Ja, es gibt mehrere christliche Deutungen des Todes Jesu, die alle ihre Berechtigung haben, aber auch ihre Grenzen. Auf die Vielzahl der Deutungen werde ich jetzt nicht eingehen. Dazu verweise ich auf einen anderen Podcast, der in einer Episode einen tollen Überblick über diese bringt. Ihn kann ich sehr empfehlen und verlinke ihn in den Shownotes.
Für die ersten Christen – und das müssen wir beachten – passt der Tod Jesu nicht in das, was sie bisher geglaubt haben. Daher war es so wichtig, mit diesem Tod fertig zu werden: Der Messias, der Retter, der Erlöser – er durfte doch wohl nicht sterben. Diese Auseinandersetzung führt Jesus in den Evangelien vor allem mit Petrus.
Grob gesagt: Wenn der Erlöser nicht sterben kann, dann gibt es zwei Möglichkeiten: 1. Jesus ist nicht der Erlöser und sicher werden viele Jünger*innen diese Konsequenz gezogen haben. Oder 2. die Jünger*innen müssen erst erkennen, dass gerade im Tod die Erlösung geschieht.
Ich würde mir oft wünschen, wir Christen würden uns mehr in die Zeit der Jünger*innen hineinversetzen, die Jesus nicht vom Ende her verstehen, also von der Auferstehung, sondern vom Anfang her: Man lernt dann einen Mann kennen, auf den man all seine Hoffnungen setzt. Und dieser stirbt und alles ist gleich wie vorher, nichts hat sich verändert, und alle Hoffnung ist zerstört. Wie geht man also mit seinem Tod um? Kehrt man sich ab, weil es doch keine Hoffnung mehr gibt? Wirft man sich auf den nächsten Hoffnungsträger? Oder erkennt man vielleicht gerade im Tod den entscheidenden Vorgang?
Bevor ich meinen eigenen Zugang darlege, möchte ich noch auf eine wirkmächtige Deutung des Todes zu sprechen kommen. Ich meine die Vorstellung, der Tod Jesu wäre ein Opfer gewesen. Über das Opfersein habe ich in der letzten Episode gesprochen. Daher greife ich das Thema hier nochmals auf und möchte zeigen, warum diese Deutung für mich nicht passt.
Im Zusammenhang mit dem religiösen Opfer habe ich in der letzten Episode von einer Dreiecksdynamik gesprochen: Die Zweierbeziehung von Mensch und Gott wird durch ein Schuldverhältnis aufgebrochen. Um diese Zweierbeziehung wieder zu versöhnen, tritt ein Drittes, ein Opfer, als Vermittelndes. Dieses Opfer steht für die Schuld und muss zerstört werden, damit die ursprünglich Beziehung wieder versöhnt ist.
Es kam also nicht selten vor, den Tod Jesu in diesem Schema zu verstehen: Es wird ein Mensch geopfert, damit die Beziehung zwischen Gott und Menschen wieder heil wird. Dabei müssen wir uns vor Augen führen, dass es immer der Mensch ist, der ein Opfer darbringt. D. h. diese Deutung würde sagen, dass die Menschen einen Menschen opfern, damit Gott wohlgefällig wird. Das aber missachtet einen entscheidenden Punkt: Der Gott der Bibel will keine Menschenopfer (siehe die Geschichte mit Abraham und Isaak). Diese Deutung widerspricht also völlig der gesamten Bibel und kann für uns Christen nicht annehmbar sein.
Gehen wir dennoch dieser Opfer-Logik noch etwas weiter nach und sehen, wie sie sich plötzlich in Luft auflöst. Dazu müssen wir zwei Schritte machen.
1. Schritt: Die erste Aufhebung geschieht darin, dass Jesus ja nicht durch Menschen im religiösen Sinn geopfert wird. Die Römer, auf die die Kreuzigung zurückgeht, wollen Jesus hinrichten, nicht einem Gott opfern. Und auch kein Jünger hat ihn ausgeliefert, um ihm Gott zu opfern. Darin liegt auch ein Grund, warum man gesagt hat, dass nicht Menschen, sondern dass Gott selbst opfert.
Also folgt: Aus dem Satz „Der Mensch opfert Jesus für Gott“ wird der Satz „Gott opfert einen Menschen für sich selbst“.
2. Schritt: Wir Christen sehen ja in Jesus nicht bloß einen Menschen, sondern Gott. Das heißt das Opfer, das dargebracht wird, ist kein Menschenopfer, sondern ein Gottesopfer. Gott wählt sich nicht einen Menschen, den er opfert, sondern er opfert sich selbst. Er selbst ist die Opfergabe.
Also folgt: Aus dem Satz „Gott opfert einen Menschen für sich selbst“ wird der Satz „Gott opfert sich selbst für sich selbst“.
Damit ist aber die Opfer-Logik völlig aufgehoben: Es gibt in diesem Satz keinen Menschen mehr und da es ihn nicht mehr gibt, kann es auch gar nicht um die Wiederherstellung der Beziehung zwischen Gott und Mensch gehen. Wie kann ein solches Opfer, in dem Gott sich selbst für sich selbst opfert eine Heilstat für die Menschen sein?
Ich möchte noch zwei Punkte zur Opferdeutung erwähnen, ohne sie näher auszuführen:
Punkt 1: Wer den Tod Jesu als religiöses Opfer versteht, der braucht keine Auferstehung mehr. Die Versöhnungstat bestünde ja allein in der Zerstörung des Opfers. Eine Wiederherstellung Opfers ist nicht notwendig, denn das würde ja bedeuten, dass die Schuld wiederhergestellt wird.
Punkt 2: Ich habe in der letzten Episode das religiöse Opfer vom profanen unterschieden. Dabei handelt es sich um jenes Opfer, dass nicht einem Gott dargebracht wird, sondern indem Menschen Gewalt ausgesetzt sind. In diesem Verständnis kann Jesus als Opfer bezeichnet werden. Und in diesem Verständnis hat die Auferstehung als Sieg über den Tod Sinn. Jesus bleibt nicht das Opfer, sondern wird zum Überlebenden.
Das Problem orte ich aber da, wo beide Opferbegriffe miteinander vermischt und verwechselt werden. Von welcher Art Opfer sprechen wir eigentlich, wenn wir sagen, unsere Gaben in der Messe sind Opfer oder wir vergegenwärtigen das Opfer Jesu im Gottesdienst usw.? Siehe dazu auch die letzte Episode.
Wie dem auch sei: Ich möchte abschließend meinen Zugang zum Kreuzestod Jesus vorstellen, bei dem ich ganz ohne diese Opfer-Logik auskomme. Da ich diesen in kurzen Passagen in meinem Buch „In der Dunkelheit“ dargestellt habe, werde ich einfach daraus zitieren:
„Das Kreuz ist Tötungsmittel und Heilszeichen zugleich. Wir müssen die ganze Szenerie von der Verhaftung bis zur Kreuzigung betrachten: Der sogenannte Verräter Judas (eigentlich der, der Jesus überliefert, „tradiert“ hat) kommt aus dem engsten Jüngerkreis; er ist einer der zwölf Apostel. Seine engsten Vertrauten stellen sich nun gegen Jesus, entweder indem sie ihn den Behörden übergeben wie Judas oder indem sie davonlaufen oder indem sie ihn verleugnen wie Petrus. Von nun an muss er den Weg allein gehen. Mit Abstand folgen ihm einige. Die jüdischen Autoritäten wollen sich nicht die Finger verbrennen, weil Jesus doch eine große Gefolgschaft hat, also hat man das Problem an die römischen Behörden weitergespielt. So kommt Jesus zu Pilatus, der ihn jedoch nicht als sein Problem ansieht. Aber Pilatus ist Taktiker: Wenn er dem Volk die Wahl lässt und sie sich für die Freilassung Jesu entscheiden, dann steht das jüdische Volk gegen seine Führer. Und ein Volk, das uneins ist, ist leichter von einer fremden Besatzungsmacht zu beherrschen. Jesus wird so zum Spielball der Politik. Das Volk hat nun die Entscheidung zwischen Jesus und dem Räuber und Mörder Barabbas. Der Name des Letzteren heißt übersetzt Sohn des Vaters – Abba –, jene Anrede, die Jesus für Gott verwendet. Hier stehen also zur Wahl: Jesus, der wahre Sohn Gottes, und Barabbas, der falsche Sohn Gottes, der Sohn Gottes, der zum Leben führt, und der Sohn Gottes, der in den Tod führt. Das Volk entscheidet sich für Barabbas. Jetzt hat Jesus das ganze Volk gegen sich.
Von den Römern wird er als dornengekrönter König, der keine Macht besitzt, verspottet. Dann beginnt sein Weg zur Kreuzigung. Hilfe wird ihm nur zuteil, weil ein Mann dazu gezwungen wird. Am Kreuz hängend wird er von den Leuten verspottet und im Gegensatz zu den Worten Gottes gebracht: Gott hat in den Schriften versprochen, dass der Messias mit Macht und Herrlichkeit kommen wird. Jesus wird in diesem Spott also die theologische Legitimation entzogen. Und nicht nur dass ihm die Messianität abgesprochen wird: Das Kreuz als Symbol des Gottesfluches macht deutlich, dass Gott sich von diesem Menschen abgewandt hat. Paulus schreibt:
„Christus hat uns vom Fluch des Gesetzes freigekauft, indem er für uns zum Fluch geworden ist; denn es steht in der Schrift: Verflucht ist jeder, der am Pfahl hängt.“ (Gal 3,13)
Und als sich die Sonne um die Mittagszeit verfinstert, stirbt Jesus mit dem Schrei über seine Gottverlassenheit auf den Lippen. In diese reale, dunkle, abgründige Gottverlassenheit, nicht in eine bloß gefühlte und getäuschte, stirbt Jesus am Kreuz hinein und macht sich dabei auf einen Weg, der zu diesem Zeitpunkt ungewiss ist. Wir bekennen Jesus als Gott: Am Kreuz stirbt Gott selbst hinein in die Gottverlassenheit. In dieser Selbstverlassenheit gibt Gott sich selbst ganz hin und auf – aus Liebe zu den Menschen. Erst wenn dieser Moment der Selbstverlassenheit ernst genommen wird, kann Erlösung umfassend gedacht werden: Gott kennt auch jene gottverlassenen Orte und holt von dort die Menschen in seine Gegenwart. Ohne echte Gottverlassenheit kein Kreuz als Heilszeichen und keine Heilsbedeutung der Auferstehung.
Jesus stirbt hier einen realsymbolischen absoluten Tod: Von den Freunden verlassen, verraten und verleugnet, von den Menschen fallen gelassen, zum Spielball der politisch-religiösen Machthaber geworden, verspottet von Fremden und den eigenen Volksgenossen, jeder theologischen Legitimation beraubt und letztlich von Gott verlassen und verflucht. Jesus stirbt also nicht irgendeinen, sondern den absoluten Tod.
Jetzt hat Gott wirklich alles umfasst, jetzt erweist er sich als Herr über Leben und Tod, als Herr über Licht und Dunkel. Das wahre Herrsein über die Dunkelheit erweist Gott in seinem Ausgeliefertsein und seiner Ohnmacht. Damit umfasst Gott alle Extreme von Leben und Tod. Und im Tempel kann der Vorhang zerreißen und den Weg frei machen für die Menschen hin zum Heiligen, zum Zentrum. Indem Gott selbst diesen Weg zum Kreuz gegangen ist, hat sich für die Menschen Heil verwirklicht. Gott ist kein Unbeteiligter mehr, sondern er steht an der Seite der Menschen in ihrem Alleingelassensein, in ihrer Ohnmacht, in ihrer Verzweiflung, in ihrem Leiden und ihrer Hoffnungslosigkeit.“
Gott ist tot – und das ist der wahre Trost, denn er ist tot wie viele Menschen, die lebend tot sind. Im Tod Gottes eröffnet sich so ein neuer Hoffnungshorizont.