Mit ungeteiltem Herzen ganz Jesus gehören. Das ist der Wunsch von vielen christlichen Männern und Frauen. Sie lassen sich dann auf eine zölibatäre und jungfräuliche Lebensweise ein. Verzichten also auf Sex. Aha! Wenn ich also auf Sex verzichte, dann gehöre ich ganz Gott. Echt jetzt?
Transkript
Herzlich Willkommen zur siebenten Folge meines Podcasts aus&aufbrechen. Vor mehr als einem halben Jahr wurde in Salzburg Bernadette Lang medienwirksam zur Jungfrau geweiht. Über ihren Zugang dazu gibt es ein schönes Video auf YouTube, das ich in den Shownotes verlinke. Dabei trat eine alte Denkweise wieder an das Licht der Öffentlichkeit, die noch heute die kirchlichen Geweihtenkreise durchzieht, aber längst zum alten Eisen gehören sollte.
Bevor es aber losgeht, möchte ich darauf hinweisen, dass ich sehr gern mit dir im Austausch bin. In den Shownotes habe ich alle Kontaktmöglichkeiten angeführt. Ich freue mich sehr, wenn du diesem Podcast, mir auf Instragram oder meiner Facebook-Seite folgst oder meinen YouTube-Kanal abonnierst. Gern kannst du dich auf meiner Homepage auch für meinen Newsletter eintragen lassen. –
So, und jetzt zum Thema.
Gleich vorweg möchte ich festhalten, dass es mir in dieser Episode nicht um die Jungfrauenweihe geht. Schon gar nicht möchte ich irgendetwas gegen die Berufung oder den Glaubensweg von Frau Lang sagen. Vielmehr geht es mir um eine Denkweise über Sexualität, die bis heute wirkmächtig die katholische Kirche durchzieht und auf die sich teilweise immer noch der Zölibat begründet.
Mit dem Sex hat sich ja die Kirche im Laufe der letzten 2000 Jahre oft eher schwer getan. Auf der einen Seite ist er wohl notwendig, um dem Auftrag Gottes zur Vermehrung gerecht zu werden; auf der anderen Seite wird er – scheinbar immer noch – als Hindernis für eine Hingabe an Gott gesehen.
Will ich mich Gott ganz hingeben, will ich ihm ganz gehören, will ich mich ganz von ihm in Anspruch nehmen lassen, dann muss ich auch die Konsequenz ziehen und auf Sex verzichten. Auch heute noch wird daher nicht nur bei einer Jungfrauenweihe, sondern auch bei der Weihe von Priestern und Diakonen, wenn es um das Zölibatsversprechen geht, von der „ungeteilten Liebe“ gesprochen. Also einer Liebe zu Gott, die sich mit nichts anderem teilen lassen soll.
Hier lassen sich aus meiner Sicht viele Kritikpunkte vorbringe, von denen ich nur ein paar in Frageform anführen möchte: Lässt sich Liebe teilen? Ist Liebe etwas Quantitatives, das ich Stück für Stück auf andere aufteile, bis vom Kuchen nichts mehr da ist? Warum sollte es einen Gegensatz zwischen der Liebe zu Gott und der zu Menschen geben? Warum spricht man von ungeteilter Liebe, wo es doch um Sex geht?Wieso hindert der Geschlechtsakt meine Liebe und Hingabe zu Gott? Verbirgt sich dahinter nicht immer noch eine sexualfeindliche Haltung christlichen Denkens? Und wird damit letztlich nicht auch die Ehe entwertet, in der die Ehepartner nicht mehr die Möglichkeit haben, sich ganz auf Gott auszurichten?
Schauen wir nun ein wenig zurück. Woher kommt eigentlich die Rede von der „ungeteilten Liebe“? Sie bezieht sich auf ein Schreiben des Apostels Paulus. Im siebenten Kapitel des ersten Briefes an die Gemeinde in Korinth spricht er über das Thema Heiraten oder unverheiratet bleiben. Am Ende dieser Erörterung sagt Paulus folgendes:
„Wer seine Verlobte heiratet, handelt also gut; doch wer sie nicht heiratet, handelt besser.“
Zu dem ganzen Abschnitt wäre jetzt viel zu sagen. Das würde aber den Rahmen dieser Episode sprengen. Ich möchte zu Paulus nur drei kurze Gedanken äußern.
- Für Paulus ist das Heiraten keine Sünde, also auch der Sex nicht. Dennoch gibt es eine eindeutige Präferenz, dass man unverheiratet bleiben soll. Das Verheiratetsein ist bloß die zweite Option, damit – wie Paulus sagt – man nicht vom Satan verführt wird. Das Ausleben der Sexualität ist also kein Teufelszeug, sondern im Gegenteil: Bewahrung vor der Versuchung durch das Böse.
- Die Bevorzugung unverheirateter Lebensweise fließt aus der so genannten Naherwartung. Im ganzen Abschnitt spürt man deutlich, dass Paulus erwartet, dass es bald zu einem Ende der Welt, zur Wiederkunft Christi kommen wird. Er hat wahrscheinlich nicht erwartet, dass wir 2000 Jahre später immer noch seine Briefe lesen. Unter dieser Perspektive ist heiraten zwar nicht falsch, aber auch nicht mehr notwendig. Denn Vermehrung spielt keine Rolle mehr. Besser wäre es, sich ganz auf dieses Kommen Gottes zu konzentrieren.
- Und hier kommen wir zu entscheidenden Aussagen: Er leitet die ganze Passage mit dem Hinweis ein, dass er bei diesem Thema kein Gesetz von Gott empfangen hat, sondern lediglich Empfehlungen ausspricht. Was also die Kirche zum Gesetz macht, hat Paulus unter einer bestimmten Naherwartungs-Perspektive lediglich empfohlen. Mit dem Hinweis auf eine Empfehlung sagt der Apostel aber auch, dass man auch andere Empfehlungen aussprechen könnte.
In diesem Zusammenhang verwendet Paulus nun das Wort „geteilt“. Da heißt es:
„Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des Herrn; er will dem Herrn gefallen. Der Verheiratete sorgt sich um die Dinge der Welt; er will seiner Frau gefallen. So ist er geteilt. Die unverheiratete Frau aber und die Jungfrau sorgen sich um die Sache des Herrn, um heilig zu sein an Leib und Geist. Die Verheiratete sorgt sich um die Dinge der Welt; sie will ihrem Mann gefallen.“
Paulus stellt hier zwei Sorgen gegenüber und ordnet sie zu: Der*die Verheiratete sorgt sich um das Irdische; der*die Unverheiratete sorgt sich um Gott.
Wie Paulus das so selbstverständlich sagen kann, bleibt unklar. Zeigt nicht die Realität, dass es so einfach nicht ist? Meint er wirklich, dass es einen Automatismus gibt? Sobald ich auf Sex verzichte, werde ich mich auch ganz Gott hingeben?
Wir dürfen hier durchaus auch einen kritischen Blick auf die Aussagen des Paulus werfen. Jedoch dürfen wir auch nicht übersehen, was Paulus unmittelbar vor der soeben zitierten Passage geschrieben hat, nämlich:
„Ich wünschte aber, ihr wäret ohne Sorgen.“
Für mich klingt das danach, dass es am besten wäre, wir wären gänzlich ohne Sorgen – also weder besorgt um Ehefrau bzw. Ehemann noch besorgt um Gott.
Wie schon gesagt: Diese ganze Sichtweise des Paulus ist bis heute zentraler Bestandteil zölibatärer Theologie. Werfen wir dazu einen kurzen Blick in den Katechismus der Katholischen Kirche. Dort steht in Nummer 1579 über die zölibatär lebenden Priester und Diakone:
„Dazu berufen, sich ungeteilt dem Herrn und seiner ‚Sache‘ zu widmen, geben sie sich ganz Gott und den Menschen hin.“
Dieser eine Satz ist für mich sehr spannend: Auf der einen Seite will die Kirche keinen Gegensatz von Hingabe zu Gott und Hingabe zu den Menschen ziehen. Beides sind Aufgaben der zölibatär lebenden Männer und Frauen. Auf der anderen Seite wird unausgesprochen die ganze Problematik auf den Geschlechtsakt fokussiert: Denn als zölibatär lebender Mensch darf und soll man sich Gott ebenso wie den Menschen hingeben; man darf nur keinen Sex mit ihnen haben. Wenn doch, wäre man wieder geteilt.
Wenn das Leben also eine Bruchrechnung wäre, so ist Sex der Teiler. Im Zähler, also das, was zählt, ist die Liebe zu Gott und den Menschen.
Ich möchte meine Stellungnahme nicht als Abwertung zölibatärer oder jungfräulicher Lebensweise verstanden wissen. Vielmehr möchte ich dazu nochmals Paulus zitieren:
„Im Übrigen soll jeder so leben, wie der Herr es ihm zugemessen, wie Gottes Ruf ihn getroffen hat. Das ist meine Weisung für alle Gemeinden.“
Nicht die zölibatäre Lebensform ist kritikwürdig, sondern die problematische Sichtweise von Sexualität als Hindernis echter Hingabe.
Die konkrete Lebensform, in der ein Mensch sich Gott und den Mitmenschen hingibt, ist Sache seiner bzw. ihrer Berufung. Eine Über- oder Unterordnung dieser Lebensformen ist unsachgemäß. Diese Unsachgemäßheit gilt auch für die Bevorzugung der unverheirateten Lebensweise bei Paulus, der allerdings aus einer Naherwartungsperspektive schreibt, die wir heute so nicht mehr teilen können.
Vielmehr sollte die Frage bestehen, ob die gelebte Lebensform auch wirklich zur Berufung eines Menschen gehört oder einfach bloßer Kompromiss mit den kirchlichen Gesetzen ist.
Sex ist dabei kein Hindernis, sich Gott hinzugeben. Eher sollte Sex als Form der zeitgleichen, ganzheitlichen Hingabe zu einem Menschen und zu Gott verstanden werden.
Wie sagte einst einer meiner Professoren in launiger Runde: Er stelle sich den Himmel wie einen ewigen Orgasmus vor. Nun: Auf die Dauer wäre ein solcher Himmel wohl auch schmerzhaft. Aber der Professor wollte wohl ausdrücken, dass die Erfahrung der Liebe Gottes mit dem sexuellen Orgasmus vergleichbar ist.